||» Rezension «|| Dry [von Neal und Jarrod Shusterman]
Neal und Jarrod Shusterman
Übersetzer: Kristian Lutzke
+ Pauline Kurbasik
Mystery Romance
Einzelband
448 Seiten
(c) by Sauerländer Verlag
„Dry“ subt bereits seit einer gefühlten Ewigkeit bei mir, und das, obwohl ich Neal Shusterman durch seine „Scythe“-Trilogie wirklich lieben gelernt habe. Bis heute zählt sie zu meinen liebsten Büchern und deshalb ist es umso seltsamer, wieso ich nicht sofort nach seinem anderen Buch, das er zusammen mit seinem Sohn geschrieben hat, gegriffen habe. Vielleicht, weil ich immer noch was in der Rückhand haben wollte von ihm? Ich weiß es nicht, aber nun war es endlich soweit; ich durfte in diese Zukunftsvision abtauchen und kann euch heute erzählen, wie mir das Ganze gefallen hat – oder besser gesagt: ob es mit dem phänomenalen Highlight, was Scythe für mich war, mithalten konnte. Falls ihr also neugierig seid, dann bleibt gerne dran. Viel Spaß bei der Rezension.
Bereits der Einstieg ist voller Geschwindigkeit. Neal und Jarrod Shusterman haben sich dazu entschieden, ohne große Umschweife direkt zum Punkt zu kommen und die Geschichte quasi direkt damit starten zu lassen, was Titel und Klappentext ankündigen: nämlich Trockenheit. Nur kurz werfen wir einen Blick auf unsere Protagonistin Alyssa, ehe auch schon das Wasser versiegt. Und das ist erst der Anfang. Ich war binnen weniger Sekunden schon voll von der Atmosphäre in Beschlag genommen worden und fühlte mich direkt mitgerissen. Ganz anders wie bei Sycthe, was eher eine Utopie ist, ist das Szenario, das sich uns Lesern hier bietet alles andere als utopisch. Es ist sogar sehr gut vorstellbar, dass auch wir irgendwann an diesen Punkt kommen und allein, dass man sich diese Tatsache während des Lesens vor Augen führt, macht die Handlung erschreckend beängstigend. Und gerade weil es so denkbar ist, ist es nur umso spannender. Permanent fragt man sich, wie man in dieser oder jener Situation selbst reagiert hätte; aber weil man sich darüber noch nie Gedanken machen musste, ist es schwer, seine eigenen Prinzipien aufzustellen. Das Autorenduo zeigt hier unglaublich eindrucksvoll, was mit den Menschen, die in Not geraten passiert und welches Phänomen dabei zu Tage tritt; nämlich der pure Überlebensinstinkt, der so machen über Leichen gehen lässt. Gewalt gehört fort an zum Alltag der Hauptfiguren, die sich nach und nach erst zeigen und trotzdem nicht weniger wichtig sind fürs Geschehen als Alissa, und nicht nur sie geraten dadurch immer wieder in Gefahr. Hier wird furchteinflössend real geschildert, was mit der Zivilisation geschieht; mit den Menschen, die alle Sorglosigkeit fallen ließen und nach jedem Strohhalm griffen, der sich ihnen bietet. So haben wir gleich zwei Spannungselemente miteinander kombiniert, nämlich der Mangel von Trinkwasser und die Bedrohung, die von der Bevölkerung ausgeht, eben dadurch ausgelöst, dass niemand lange ohne Wasser überleben können wird. Beides ist unheimlich zuträglich für die Geschwindigkeit und dient dazu, das Tempo stetig zu erhöhen.
Selbst im Mittelteil herrschte reges Treiben, und es wurde zu keiner einzigen Sekunde langweilig; im Gegenteil, es steigerte sich von Kapitel zu Kapitel immer mehr. Ich bin ehrlich: so manch Ereignis erinnerte schon sehr an ein Jugendbuch, und ich bin mir sicher, dass da noch Luft nach oben gewesen wäre; trotzdem wird es stellenweise auch recht brutal, wenn selbst die zivilisiertesten Menschen alle Hemmungen fallen lassen und für den noch so kleinsten Tropfen Wasser kämpfen. Die Spannung, die dauerhaft herrscht, reißt einen mit, lässt einen sogar manchmal über einige Sätze stolpern, weil man gar nicht so schnell lesen kann, wie man möchte. Aber in all dem Chaos, dem Ausnahmezustand gibt es immer noch etwas, das Hoffnung schenkt: nämlich Menschlichkeit. Nicht alle drehen völlig durch; nicht alle schließen sich Plünderern, Einbrechern und anderen Banden an. Das ganze lässt einen den Glauben an das Gute nicht verlieren, auch wenn es stellenweise enorm schlecht aussieht.
Das große Finale des Buches hatte es dann schlussendlich nochmal in sich. Der Spannungsbogen wurde nochmal intensiv in die Höhe getrieben, das Tempo angezogen. Die Ereignisse überschlugen sich regelrecht und es wurde immer knapper – immer beklemmender. Erreichen die Teenager ihr Ziel? Ist dieses Ziel überhaupt anstrebenswert? Fragen über Fragen, die das letzte Drittel zu einem echten Pageturner machten und das Buch schlussendlich perfekt abrundeten. Die einzelnen Stränge liefen zusammen, das Adrenalin brodelte im Leser und das Happy End, auf das man so sehnsüchtig wartet, schien immer weniger realistisch. Neal und Jarrod Shusterman verstehen sich wirklich darauf, Überraschungen und Wendungen so zu platzieren, dass sie den größtmöglichen Effekt haben und das zeigt sich nicht nur im letzten Drittel, sondern im gesamten Buch. Ein Erlebnis; ein Abenteuer und ein sehr beängstigendes, nachdenklich stimmendes Werk, das es in sich hatte und viel vielschichtiger daher kam, als ich anfangs dachte.
Die Figuren allerdings haben in all dem actionreichen Treiben ein wenig geschwächelt. Obwohl ich mir besonders Alyssa und Kelton wunderbar leicht vor Augen führen konnte, so fehlte mir doch der Tiefgang. Sicher, jeder hatte seine Geschichte zu erzählen, aber bis auf die erbitterte Angst und die Zweifel, die sie hegten, erreichten mich ihre Emotionen nicht allzu sehr. Ich fand einfach, dass sie zu kurz kamen. Das Hauptaugenmerk lag definitiv auf der Handlung, nicht auf der Charaktergestaltung. Was aber gar nicht mal so tragisch war, immerhin waren sie doch ausreichend detaillreich, um mit ihnen mitfiebern und mitfühlen zu können. Trotzdem wollte ich den Aspekt nicht unter den Tisch fallen lassen, sondern hier kurz erwähnen. Der Vollständigkeit halber eben.
Ansonsten gefielen mir die fünf Teenager aber sehr gut. Sie boten eine große Bandbreite an Charaktereigenschaften und bedienten jede Vorliebe. Wir haben sowohl die brave Nachbarstochter, die Verantwortung übernehmen kann und eben Mami’s Liebling ist – wir haben den Survival Freak, der jedes Weltuntergangs-Szenario überleben kann. Wir haben die taffe, rebellische Schulabgängerin; das Nesthäkchen und wir haben den reichen Schnösel, der es gewöhnt ist, dass alles und jeder nach seiner Pfeife tanzt. Etwas klischeehaft, ja; aber absolut passend für die Handlung. Sie alle harmonierten miteinander auf einer Ebene, wie man es selten erlebt. Nicht alle sind sich direkt grün; es herrscht Konkurrenzkampf, Besserwisserei, Streit, Abneigung .. aber in den entscheidenden Momenten halten sie doch zusammen und genau das zu beobachten macht einfach Spaß.
Und noch kurz auf meine zwei Lieblinge einzugehen: Alyssa ist eine echt sympathische Figur, die von Anfang an mit dabei ist und mir daher am nähesten kam. Sie ist bodenständig, besonnen, bedacht und sehr reif für ihr Alter. Mit ihrem Bruder zusammen versucht sie den TapOut zu überleben und kämpft längst nicht nur für sich, sondern trägt auch die Verantwortung für ihr Geschwisterchen. Ansonsten lässt sich, nicht allzu viel über Alissa sagen, außer vielleicht noch, dass sie oftmals einen Mut an den Tag legt, den man der unscheinbaren Schülerin gar nicht zutrauen würde. Sie hat ein riesengroßes Herz und verkörpert genau das auch innerhalb der Gruppe: das Herz. Manchmal neigt sie dazu, naive Züge zu zeigen, doch in Anbetracht der Situation lässt man ihr das durchgehen.
Kelton, Alyssa’s Nachbar ist dagegen das pure Gegenteil. Er wurde quasi von Geburt an darauf vorbereitet, genau solche Ereignisse zu überstehen und die Zügel dabei in die Hand zu nehmen. Der Umgang mit Schusswaffen, wichtiges Wissen um Vorräte und eine bedachte Angehensweise sind nur ein paar wenige Attribute, die ihm beigebracht wurden. Aber, und das ist noch viel interessanter: in der Theorie schien Kelton das alles aus dem FF zu beherrschen, doch in der Realität sah das Ganze schon völlig anders aus. Wo er anfangs noch total entspannt war und sich auf sein Können verließ, musste er schnell feststellen, dass seine Grenzen näher lagen, als er dachte. Trotzdem fand ich ihn als Menschen enorm spannend. Er brachte Abwechslung ins Spiel und zauberte mir mit seiner unbeholfenen Art auf der sozialen Ebene immer wieder ein Grinsen ins Gesicht. Aber genau da lag sein Potential – er entwickelte sich deutlich weiter und war am Ende gar nicht mal mehr so unbeholfen. Zwar immer noch weit weg von selbstsicher, doch sowas geschieht nunmal auch nicht über Nacht.
Ich fand es toll, wie sich die Truppe ergänzte. Wo der eine den Kopf in den Sand steckte, da übernahm der andere das Ruder und gemeinsam kämpften sie sich Station für Station weiter. Auch wenn ich nicht zu allen einen richtigen Zugang fand, so fühlte ich mich ihnen doch nahe und fand sie, als jeweilige Figur, einfach passend für die Handlung. Mitfiebern konnte ich jedenfalls mit jedem von ihnen, auch wenn sie mal nervten und mal aufregten; aber das gehörte dazu. Nicht alles war 100% nachvollziehbar, aber glaubhaft und das wiegelte vieles wieder auf.
Der Schreibstil des Autorenduos konnten sich absolut sehen lassen. Die Geschichte wurde durch ihre Worte schon früh lebendig und vermochte es, mich in ihren Bann zu ziehen. Ich fühlte mich als Teil des Geschehens, nicht nur als Leser, sondern als Mitglied der fünf Jugendlichen. Dabei kam ich trotzdem wahnsinnig schnell voran und fand mich kinderleicht in der Handlung zurecht. Die Gliederung, in Form der zahlreichen Perspektiven bedurfte anfangs etwas Konzentration, doch hatte man die einzelnen Figuren erstmal kennengelernt, verblasste diese Problematik. Wir lesen immerhin aus fünf Sichten + zusätzlich noch die Einblenden von anderen Perspektiven. Doch es war so geschickt gemacht, dass sich die jeweiligen Kapitel sehr schnell dem jeweiligen Charakter zuordnen ließ. Ansonsten lässt sich nichts weiter sagen, außer dass das ganze flüssig und leicht erzählt wurde; in den brutalen Szenen auf die eingehenden Beschreibungen verzichtet wurde und es alles in allem sehr stimmig und angenehm war. Besonders die Atmosphäre; die Endzeit-Stimmung, in der die Zivilisation komplett zusammenbrach, fesselte mich zutiefst und lässt mich bis heute auch noch nicht so richtig los. Man denkt plötzlich ganz anders über gewisse Aspekte; nicht zuletzt über Wasser.
„Dry“ von Neal und Jarrod Shusterman war eine absolut spannende Unterhaltung, die mich von der ersten, bis zur letzten Seite mitreißen und begeistern konnte. Das Duo beschäftigt sich hier mit einem Szenario, das gar nicht mal so weit her geholt ist, sondern durchaus genau so eintreten könnte. Und das macht es furchtbar beängstigend. Und neben dem Problematik mit dem fehlenden Wasser, weisen Neal und Jarrod Shusterman noch auf etwas anderes hin: nämlich um den Überlebensinstinkt eines jeden einzelnen Menschens. Jede Zivilisation bricht zusammen und ein erbitterter Kampf um Wasser entsteht. Gewalt ist nur eins von vielen Problemen, die sich auftun, aber auch Diebstahl, Plünderei. Es fühlt sich an, als würden die Menschen zurück zu ihrem Ursprung kehren. Nicht alles war perfekt; und doch fieberte und fühlte ich mit den fünf Teenagern ordentlich mit – allen voran Alyssa und Kelton. Für alle, die Scythe mochten, oder ein Fan von apokalyptischen Serien sind!
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Neal Shusterman, geboren 1962 in Brooklyn, USA, ist in den USA ein Superstar unter den Jugendbuchautoren. Er studierte in Kalifornien Psychologie und Theaterwissenschaften. Alle seine Romane sind internationale Bestseller und wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award.
(c) by dtv Verlag
An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Rezension meiner ganz persönlichen Meinung entspricht und bei jedem Leser anders ausfallen kann. Außerdem möchte ich mich gerne beim Sauerländer Verlag bedanken: für alle Bilder und Klappentexte sowie Zitate benutzen zu dürfen.