||» Rezension «|| Der Herzgräber [von Jen Williams]
Jen Williams
Übersetzer: Irene Eisenhut
Thriller
Einzelband
384 Seiten
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Hörbuch ↓
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(c) by S.Fischer Verlage
Dieses Buch ist mir bereits in der Zeit rund um den Erscheinungstermin immer wieder begegnet; aber so richtig überspringen wollte der Funke zunächst nicht. Nun aber konnte ich die Geschichte doch lesen, nämlich dank meiner liebsten Susi [@magische_momente_], die mir das Schätzchen ausgeliehen hat, um meine Thriller-Lust zu stillen. Danke an der Stelle ♥ Jedenfalls kann ich euch heute auch endlich erzählen, ob sich die Neugier auf das Werk gelohnt hat, oder ob ich mich den vielen, eher kritischen Stimmen, anschließen muss. Falls ihr also neugierig seid, dann bleibt jetzt gerne dran. Viel Spaß bei der Rezension.
Die Idee, die sich hinter „Der Herzgräber“ verbirgt, klang von Anfang an extrem interessant. Der Klappentext deutet auf eine Story hin, bei der man ordentlich miträtseln und mitfiebern kann und bei der sich nicht alles ausschließlich um Polizei-Arbeit dreht. Emotionen, Vergangenheit, Geheimnisse; auf das freute ich mich tierisch. Ich hatte schon im Vorfeld einige Gedankengänge, wie in etwa die Umsetzung der Idee aussehen könnte – und natürlich war ich extrem neugierig, ob einer davon zutraf.
Der Einstieg gelang mir jedenfalls schon sehr leicht. Auch wenn Heather nicht die typische Sympathieträgerin für mich ist, kam ich an ihrer Seite doch gut klar und fand mich auch innerhalb der Handlung schnell zurecht. Der doch recht ruhige Sprung ins Geschehen gewährt es, sich erst einmal ein Bild von allem zu machen und die Begebenheiten zu begreifen. Und erst dann kommt nach und nach der Stein ins Rollen. Einzelne Rückblicke in die Vergangenheit werfen weitere offene Fragen auf liefern damit neue, interessante Aspekte und Puzzleteile, die es dann zusammenzusetzen gilt.
Allerdings empfand ich die Geschichte im Gesamten doch eher als ruhig. Die Neugier auf die Auflösung ist das, was das Buch am Leben hält. Nervenzerreißende Spannung oder gar Nervenkitzel gibt es, wenn dann nur in kleinen Dosen und auch nur stellenweise. Besonders im Mittelteil hätte es noch ein wenig Luft nach oben gegeben, was das Voranschreiten der Handlung betrifft. Trotzdem kam keine Langeweile auf. Es gibt durchaus die Möglichkeit, mitzufiebern, aber auf einem eher „sanften“ Niveau, wenn man das so nennen kann. Es ist nicht rasant, aber doch stets interessant zu verfolgen. Durch die Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit entsteht eine angenehme Frische und Abwechslung; was zusätzlichen Zündstoff fürs große Finale mitbringt und die Atmosphäre in immer wieder andere Bahnen lenkt. Mal ist es eher modern; mal werden fast historische Vibes aufgeworfen; obwohl die Vergangenheit natürlich nich so weit zurückliegt. Aber die 70er Jahre reichen schon, um sich stimmungstechnisch von der Jetztzeit zu unterscheiden.
Ich mochte die Richtung, die das Buch nahm, sehr gerne. Ich liebe solche Familiendramen, in denen immer mehr Fragen aufgeworfen werden und sich die Geheimnisse im Sekundentakt vermehren. Geschichten, in denen sich Menschen mit der Vergangenheit ihrer Angehörigen beschäftigen müssen, und dabei von einem Schock in den nächsten stolpern. Und genau so ist es hier auch. Besonders bei der Auflösung zeigte Jen Williams, dass ihre Idee hier alles andere als verkehrt ist. Sie beweist, dass auch eher ruhige Thriller in einem spannungsgeladenen Finale enden können und dabei nicht nur eine Überraschung parat haben. Nicht alles kam hier super unerwartet; manches kündigte sich bereits im Vorfeld an – aber doch hatte ich Spaß dabei, auch diese Szenen zu verfolgen. Und das ist meist mehr wert als jede unvorhersehbare Wendung.
Die Charaktere in „Der Herzgräber“ sind vielfältig wie stimmig. Sie alle passten perfekt in die Geschichte und verliehen ihr Lebendigkeit und Emotionen. Ich mochte die Darstellung aller, auch wenn es mir bei manchen schwer fiel, eine richtige Verbindung zu ihnen herzustellen. Was ich aber nicht unbedingt beanstanden, sondern nur erwähnen möchte. Manchmal müssen Charaktere nicht dem Einheitsbrei entsprechen, um zu überzeugen; und das zeigte sich in diesem Buch ganz deutlich.
Wie bereits angeteasert war Heather für mich nicht die typische Sympathieträgerin. Sie war mir manchmal eine Spur zu kühl, und auch einen bedingungslosen Zugang fand ich nicht zu ihr. Aber ich stellte stattdessen schnell fest, dass das nun mal ihre Art ist – und da ihre Handlungen und Gedankengänge trotzdem zumeist nachvollziehbar waren, arrangierte ich mich problemlos damit. Sie war mir ja durchaus sympathisch, und auch hegte ich keine negativen Empfindungen gegen sie; eher neutrale. Heather ist eine glaubhafte, junge Frau, die realistisch dargestellt wurde und mit ihrer Ausstrahlung sicher den Nerv des ein oder anderen Lesers trifft. Gerade weil ich sie nicht als 0-8-15-Protagonistin wahrnahm, war sie in gewisser Weise auch eine Besonderheit. Jedenfalls konnte ich trotz aller Differenzen und aller Distanz mit ihr mitfiebern und mitfühlen; und das war mehr wer als alle Sympathie der Welt.
Einen männlichen Protagonisten gab es, für mein Empfinden, nicht. Natürlich spielt Michael Reave als Serienkiller, der im Gefängnis sitzt, eine nicht unerhebliche Rolle in dem Buch. Aber da er nur hier und da mal einen Auftritt zugesprochen bekommen hatte, ist er doch weit von der Hauptfigur entfernt. Trotzdem möchte ich ein paar Worte über ihn loswerden, weil ich ihn als Mörder mehrere Menschen gut getroffen fand. Seine Aura hatte schon etwas dunkles an sich; obwohl er innerhalb des Buches nicht als schlechter Kerl auftrat. Macht das Sinn? Ein Mörder soll kein schlechter Kerl sein? Ich weiß es nicht. Aber Fakt ist, dass er gegenüber Heather niemals böse auftrat, sondern eher als ein wenig wirr. Und auch das barg einiges an Spannung – weil sein Verhalten nicht so recht zu den Fakten, die wir schon herausgefunden hatte, passte.
Ansonsten lebt das Buch von verhältnismäßig wenigen Nebenrollen. Die Charaktergestaltung von Jen Williams beschränkt sich auf die wichtigsten Rollen, wie eben Heather, Reave, den leitenden Ermittler und eine Freundin der Hauptfigur. Und gerade die vier Persönlichkeiten empfand ich als gut getroffen. Sie alle hatten ihre Ecken und Kanten; machten Fehler und hatten negative Eigenschaften. Und genau das braucht ein Thriller, um eine gewisse Spannung im Bereich der Charaktere entstehen zu lassen. Ich mochte zwar jeden auf seine Art und Weise, aber ein gesundes Maß an Misstrauen konnte ich nicht abstellen. Manch einer handelt und denkt vielleicht anders, als ich. Manch einer trifft fragwürdige Entscheidungen; aber sie alle waren glaubhaft und nachvollziehbar. Es passte. Und das war das Wichtigste.
Der Schreibstil von Jen Williams kann sich definitiv sehen lassen. Allein schon, dass ich so schnell Fuß fassen konnte in der Geschichte, zeugt davon, dass mich ihre Worte problemlos erreichen und mitreißen konnten. Sie schreibt sehr angenehm und flüssig; um nicht zu sagen locker und verständlich. Kurze, knappe Beschreibungen machen den Stil kurzweilig, authentische Dialoge verleihen dem Ganzen Lebendigkeit. Aber besonders die Atmosphäre, die hier herrscht, erzeugt schon für sich genommen einen gewissen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Mal recht „modern“ und interessant durch die gegenwärtliche Ermittlungsarbeit – mal „älter“ und spannend durch die Vergangenheitspassagen. Beide Formen waren absolut auf den Punkt gebracht und boten damit eine herrlich erfrischende Abwechslung, die einfach Spaß bereitet. Die Erzählweise, in Form einer einzelnen Perspektive + weiteren Einblicken passte toll zur Geschichte und ließ vieles nochmal undurchsichtiger und spannender werden.
Da ich das Buch, wie so oft, als Hörbuch gehört habe, möchte ich auch noch kurz auf die Sprecherin eingehen: Heike Warmuth war mir bis vor diesem Werk gänzlich fremd; und weil ich lieber bekannte Stimmen höre, hatte ich gewisse Vorbehalte, ob sie mich richtig begeistern kann. Aber alle Zweifel stellten sich als unbegründet heraus. Heike Warmuth macht einen tollen Job, indem sie sehr schön betont, die Stimmlagen an den entscheidenden Stellen wechselt und im allgemeinen sehr verständlich und klar spricht. Ich hatte absolut keine Probleme, ihren Worten zu folgen und konnte dank ihr, vielleicht sogar noch ein bisschen besser in die Geschichte eintauchen, als wenn ich das Buch gelesen hätte.
„Der Herzgräber“ von Jen Williams ist ein eher ruhiger Thriller, der aber alles andere als langweilig ausfällt. Die Idee, die sich hinter dem Buch verbirgt, in Kombination mit der Ausarbeitung des Ganzen und den verschiedenen Elementen, die eingeflossen sind, ergibt das eine mitreißende Storyline, die dem Leser sogar die Möglichkeit gibt, eigene Theorien auf die Beine zu stellen. Da Heather nicht die nahbarste Protagonistin aller Zeiten war, aber dennoch eine gewisse Form von Sympathie ausstrahlte, war auch sie ein Faktor, der interessant wie überzeugend ausfiel. Nicht alles, was hier geschah, kam total überraschend. Manche Wendung kündigte sich bereits an; aber doch hatte ich mit dem Buch einige unterhaltsame, düstere Lesestunden, die mir zeigten, dass es sich lohnt, auch mal Bücher zu lesen, nicht ganz so gehypt werden. Ich werde mir die Autorin jedenfalls merken; allein weil sie mit ihren Worten so stimmungsvolle, einnehmende Atmosphären entstehen lässt. Ein Highlight war „Der Hezrgräber“ also nicht; aber im Gesamten doch einen zweiten Blick wert.
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Jen Williams lebt mit ihrem Partner und einer unmöglichen Katze im Südwesten von London. Schon als Kind war sie fasziniert von Drachen, Hexen und gruseligen Märchen. Für ihre Bücher im Fantasy-Bereich wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Wenn sie keine Bücher oder Beiträge für Magazine schreibt, arbeitet sie als Buchhändlerin und freiberufliche Redakteurin.
(c) by Fischer Verlag
An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Rezension meiner ganz persönlichen Meinung entspricht und bei jedem Leser anders ausfallen kann. Außerdem möchte ich mich gerne beim Fischer Verlag bedanken: für alle Bilder und Klappentexte sowie Zitate benutzen zu dürfen.