||» Rezension «|| Das Dorf der toten Seelen [von Camilla Sten]
Camilla Sten
Übersetzer: Nina Hoyer
Thriller
Einzelband
448 Seiten
(c) by HarperCollins Verlag
Da meine Thriller-Stimmung auch nach „Liebes Kind“ noch angehalten hat, hab ich die Gunst der Stunde genutzt und ein Buch von meinem Sub befreit, das schon eine geraume Weile dort auf mich gewartet hat. „Das Dorf der toten Seelen“ von Camilla Sten hat vor allem durch das düstere, bedrückende Cover damals meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen; aber auch der Klappentext versprach gruselig mitreißenden Horror-Lesespaß. Nun endlich habe ich erfahren, ob ich mit meinen Hoffnungen und Erwartungen richtig lag, oder ob sich die Geschichte in eine doch ganz andere Richtung bewegt. Und wie mir das Buch gefallen hat, erzähle ich euch jetzt ganz ausführlich. Falls ihr also neugierig seid, bleibt gerne dran. Viel Spaß bei der Rezension.
Wie schon erwähnt, lagen meine Erwartungen definitiv auf dem Grusel-Faktor, den ich mir, gemeinsam mit ein paar typischen Horror-Elementen gewünscht hatte. Und zu Beginn schienen all meine Wünsche sogar erfüllt zu werden. Es beginnt zwar noch recht alltäglich, indem wir kurz einen Blick auf die Hauptfiguren werfen dürfen, doch schnell geht es auf große Reise in eine Geisterstadt bzw. ein Geisterdorf, in dem schon lange niemand mehr lebt und, in dem sich scheinbar übernatürliche Dinge abspielen. Zugegeben, die Grundbausteine sind durchaus klischeehaft: ein Filmteam fährt in eine verlassene Gegend und dort eine Dokumentation zu drehen. Auf den Spuren längst vergangener Zeit, quasi. Dass dabei allerhand mysteriöses passiert, ließ der Klappentext bereits vermuten – und genau so spielte es sich schlussendlich auch ab. Alice und ihr Team sind definitiv nicht allein in Silvertjärn; irgendwas beobachtet sie – begleitet sie – und ist alles andere als glücklich über ihr Erscheinen. Die Stimmung war haargenau so, wie ich sie mir erhofft hatte: beklemmend, undurchsichtig und einfach gruselig. Doch wurde genau die immer wieder unterbrochen durch Rückblicke in die Vergangenheit. Wir haben also nicht nur eine, sondern gleich zwei Zeitebenen. Während sich die eine mit der Gegenwart und somit mit Alice und ihren Freunden beschäftigt, so spielt die zweite Ebene in einer Zeit, in der das Dorf noch bewohnt war. So treibt uns Leser nicht nur eine Frage um, sondern gleich mehrere. Die jeweiligen Spannungsbögen haben ihr Ziel eindeutig erreicht, denn sie fesseln einen ans Geschehen und lassen immer wieder eine Gänsehaut beim Leser entstehen. Zum einen will man natürlich wissen, wie das Filmteam auf die unvorhersehbaren Begegnungen reagiert und ob wirklich heil zurück nach Hause fahren. Zum anderen möchte man auch um jeden Preis erfahren, was das plötzliche Verschwinden der Dorfbewohner ausgelöst hat, das der Klappentext verrät. Sind sie von einer Krankheit dahingerafft worden? Sind wie weggezogen? Wurden sie umgebracht? So entstanden schon früh viele offene Fragen, die einen mitreißen und das Ganze undurchsichtig und spannend machen. Dabei fiel mir auch auf, dass die Abschnitte, die die damaligen Geschehnisse behandeln, deutlich interessanter und mitreißender ausfielen. Sie wirkten auf mich anschaulicher und einfach spannender. Das mag vielleicht auch dem folgenden Problem geschuldet sein:
Ich hatte schon recht früh das Problem, dass mir in der heutigen Zeit zu viel Persönliches in die Handlung eingewoben wurde. Sicher war das gut für die Charaktergestaltung und -entwicklung, doch hätte es dem garnicht bedurft. Die Figuren agieren enorm viel miteinander und jede noch so unwichtige Unterhaltung fand Platz in der Geschichte, sodass das Tempo, und auch die Stimmung immer wieder durchzogen war von eher uninteressanten Passagen, die unnötig waren für den weiteren Verlauf der Geschichte. Nicht alle Dialoge – bei weitem nicht! Manche trugen maßgeblich zur Handlung bei, andere eben eher nicht. Ich war durchaus fasziniert davon, wie die einzelnen Stränge so nach und nach ineinander übergreifen und miteinander verschmelzen; da hat sich die Autorin wirklich etwas einfallen lassen, das einen überraschen kann. Camilla Sten verwebt Damals und Heute sehr geschickt miteinander und lässt vieles von dem, was geschieht, nochmal in ganz anderem Licht erscheinen. Aber es ändert nichts, an den eher ruhigen, um nicht zu sagen, zähen Abschnitten, die dem Buch immer wieder den Wind aus den Segeln nahmen.
Die Auflösung, die sich dann abspielt, war einerseits eine absolut unvorhergesehene Wendung, zum anderen aber irgendwie doch nicht die große Überraschung. Für mich hätte das Ganze auch anders gelöst werden können; ich hätte es mir zumindest anders gewünscht. Irgendwie noch eindrucksvoller, noch rasanter, noch atmosphärischer. So war es gutes Ende, das alle offenen Fragen beantwortet, aber doch ein wenig Enttäuschung zurücklässt. Im gesamten kann man aber sagen, es war eine schlüssige, nachvollziehbare Erklärung für alles und rundete das Buch doch sehr gut ab.
Die Charaktere. Was lässt sich zu Alice und Co. sagen? Fangen wir mal mit dem auffälligsten an: ich empfand keinem gegenüber richtige Sympathie. Zwar fand ich sowohl Alice als auch ihre Teammitglieder äußerst interessant und sehr besonders, doch eine richtige Nähe zu ihnen herzustellen, war mir nicht vergönnt. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass sie, jeder für sich, sehr speziell wirkte; speziell und eher distanziert; was zwar zur Geschichte passte, nicht aber für die nötige Verbindung sorgte. Auch die Interaktionen untereinander waren nicht greifbar und oft seltsam. Es kamen kaum Gefühle rüber und egal ob sie sich gegenseitig ihre Emotionen offen legten oder sich anfeindeten, die entsprechende Wirkung hatte das bei mir nicht. Darum vielleicht auch die Kritik an den Passagen, in denen zu viel auf der Interaktionsebene stattfindet, anstatt das Geschehen weiter voranzubringen: ich fühlte die Figuren nicht.
Alice ist eine authentische Anführerin, die das Zepter nicht gern aus den Händen gibt. Und dabei manchmal vielleicht ein wenig unverhältnismäßig reagiert. Sie war, für mich, nicht richtig greifbar, nicht lebendig genug, aber irgendwie doch realistisch genug, um sie sich vor Augen zu führen. Macht das Sinn? Vermutlich nicht, aber es lässt sich nicht besser in Worte fassen. Ich fieberte auch nicht richtig mit Alice mit, aber doch war da die Spannung – also ganz unsympathisch kann sie nicht gewesen sein, weil es mir sonst vermutlich egal gewesen wäre, was mit ihr und ihren Leuten passiert. Camilla Sten gewährt uns auch Einblicke in die Vergangenheit unserer Protagonistin und offenbart, dass sie es schon als Kind nicht unbedingt leicht gehabt hat. Sie deutet mit dem Finger darauf, was ein Lebensstil mit einem Menschen machen kann und stellt dies sogar sehr realistisch dar. Doch auch das ließ die Mauer, die sich scheinbar zwischen uns befand, nur leicht bröckeln. Ihr merkt: es fällt mir schwer, ein richtiges Fazit zu Alice zu ziehen, aber im Grunde war sie keine schlechte Hauptfigur. Sie war selbstbewusst, voller Motivation dem Filmprojekt gegenüber und besaß definitiv Rückgrat. Angst zeigte sie nur in einsamen Momenten und war ansonsten eine eher rationale Persönlichkeit.
Die zweite Hauptfigur, nämlich die der Vergangenheit, fand ich wiederum sehr gut getroffen. Zwar löste auch sie keine Begeisterungsstürme bei mir aus, doch empfand ich sie als sehr authentisch und der damaligen Zeit regelrecht entsprungen. Auch wenn hier bewusst auf große Emotionen verzichtet wurde und eher auf die Übertragung von wichtigen Informationen gesetzt wurde, fand ich die besagte Protagonistin von damals wirklich spannend und gut umgesetzt. Ich fieberte sogar ein klein wenig mit den Figuren aus der Vergangenheit mit und freute mich stets, wenn die Geschichte wieder die Zeitebene wechselte und von Alice zu den 60er (?) Jahren wechselte.
Ansonsten kann ich, über die anderen, nur wenig sagen. Zum einen hab ich längst die Namen vergessen, zum anderen sind sie mir auch als Menschen nicht großartig in Erinnerung geblieben. Man merkt also, dass sie alle, auch Alice, keinen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Vieles von dem, was passierte, war nicht richtig glaubhaft und die Bissigkeit, die viel zu oft zu Tage trat, machte es zusätzlich schwer, um den ein oder anderen ins Herz schließen zu können. Ich fand die Mischung noch recht gelungen, weil es immer irgendwelche Differenzen, Unstimmigkeiten und Streitereien gab – doch auch Momente, in denen der Zusammenhalt der Truppe gut zur Geltung kam. Aber das wars, im Grunde dann auch schon, was es zu sagen gibt.
Der Schreibstil von Camilla Sten hat mich allerdings doch sehr positiv zurück gelassen. Ich kam unsagbar schnell durch das Buch durch und konnte mir die einzelnen Szenen gut vor Augen führen. Ja sogar die Charaktere erschienen bildhaft vor mir und selbst die Atmosphäre hatte eine wirklich einnehmende Wirkung auf mich. So gruselig, unheimlich, „neblig“ und düster – eben perfekt für einen Thriller mit gewissen Horror-Aspekten. Dabei ließ sich das Buch sehr leicht lesen und das Verständnis war dauerhaft da. Die Autorin hat dieses Dorf – Silvertjärn – enorm stimmungsvoll eingefangen und eben so auch auf direktem Wege wiedergegeben. In der Hinsicht gibt es rein gar nichts, was ich bemängeln könnte. Denn am Stil lagen die ruhigen Phasen und die fehlenden Verbindungen zu den Figuren, eindeutig nicht.
„Das Dorf der toten Seelen“ von Camilla Sten ist ein wirklich interessantes, vielschichtiges Debüt, das längst nicht nur auf einen Aspekt abzielt, sondern gleich mehrere, spannende Facetten aufweist. Neben dem klassischen Horror-Flair, das einem zahlreiche Male Gänsehaut beschert, gewährt uns die Autorin auch Einblicke in die Vergangenheit und greift dabei Themen auf, die einen zu fesseln wissen. Probleme, die man heute nicht mehr kennt, sind fein säuberlich ausgearbeitet und recherchiert und dementsprechend naturgetreu umgesetzt. Allgemein gefiel mir der „Damals“-Part viel mehr als das gegenwärtige Geschehen. Doch leider fehlte es mir immer mal wieder an Tempo bzw. hatte ich das Gefühl, dass die Handlung, durch unnötige Dialoge, stagniert bzw. sich in die Länge zieht. Außerdem war ich auch von den Hauptfiguren nicht unbedingt begeistert, konnte aber in Anbetracht der sonstigen Attributen ein Auge zukneifen. Im Gesamten war es tolle Unterhaltung, die mir aber nicht ganz das lieferte, was ich mir erhofft hatte.
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Camilla Sten wurde 1992 geboren und studiert an der Universität Uppsala Psychologie. Sie interessierte sich schon früh für Politik und schreibt Artikel über Feminismus, Rassismus und das aktuelle politische Klima für diverse schwedische Zeitungen. Gemeinsam mit ihrer Mutter, der Bestseller-Autorin Viveca Sten, schrieb sie bereits mehrere Bücher. »Das Dorf der toten Seelen« ist ihr Thrillerdebüt.
(c) by HarperCollins Verlag
An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Rezension meiner ganz persönlichen Meinung entspricht und bei jedem Leser anders ausfallen kann. Außerdem möchte ich mich gerne beim HarperCollins Verlag bedanken: für alle Bilder und Klappentexte sowie Zitate benutzen zu dürfen.