||» Rezension «|| Nothing left for us [von Alice Oseman]
Alice Oseman
Übersetzer: Anne Brauner
Queer Romance || Young Adult
Einzelband
448 Seiten
„Hallo. Hoffentlich hört mir jemand zu …“
Frances hat nur ein Ziel: Cambridge. Um es auf die Eliteuni zu schaffen, lernt sie Tag und Nacht. Nichts soll ihr im Weg stehen – weder Freunde noch ihre Leidenschaft fürs Zeichnen. Da begegnet Frances Aled, dem schüchternen Genie hinter ihrem Lieblingspodcast. Mit ihm kann sie Zeit verbringen, ohne ständig unter Strom zu stehen. Doch als Aleds Podcast viral geht, droht die Freundschaft zu zerbrechen. Plötzlich muss sich Frances fragen: Was ist ihr im Leben wichtig? Wer will sie wirklich sein?
(c) by Loewe Verlag
Dieses Buch hat mich, total überraschend vor einigen Tagen erreicht. Ein riesiges Dankeschön an den Loewe-Verlag an dieser Stelle; ich hab mich unglaublich gefreut! Da ich allerdings nicht der größte Fan von „Loveless“ war, „Heartstopper“ hingegen absolut geliebt habe, waren meine Erwartungen an „Nothing left for us“ eher im Mittelfeld angesiedelt. Ich wusste einfach nicht, was mich erwarten würde. Umso neugieriger war ich natürlich, darauf zu erkunden, ob ich es hier mit einer hochgradig emotionalen Geschichte zu tun bekomme; oder mit einer eher durchschnittlichen NA-Story, die etwas überladen wirken könnte – wie bei „Loveless“ und da hab ich mich deshalb auch garnicht lange bitten lassen und direkt nach dem Buch gegriffen. Nun, heute, pünktlich zum Erscheinungstermin, kann ich euch endlich verraten, wie mir Frances und Aled und ihre Geschichte gefallen hat. Falls ihr also neugierig seid, dann bleibt gerne dran. Viel Spaß bei der Rezension.
Alice Oseman lässt die Handlung mit einer interessanten, aber doch alltäglichen Situation anlaufen, sodass wir Leser erst einmal ein wenig Zeit bekommen, um Frances näher kennen zu lernen, ohne, dass der Einstieg langweilig gewesen wäre. Wir treffen inmitten des Schulalltags auf unsere Protagonistin und erleben sogleich mit, wie viel Druck sich die Schülerin in Sachen Lernen selbst macht. Doch kaum dass wir den ersten Blick auf sie geworfen haben, tritt auch Aled zum ersten Mal auf. Und damit kommt die eigentliche Geschichte erst so richtig ins Rollen.
Ich mochte diese Art von Einstieg, weil sie einerseits ruhig und gemächlich vonstatten ging, aber doch einen gewissen Sog entwickelte, der die Neugier auf alles, was noch kommen mag, immer mehr entfacht. Unsere Figuren sind sehr speziell, und mit ihnen auch das, was sie erleben. Nicht immer – oder besser gesagt: in den seltensten Fällen konnte ich Frances nachvollziehen, aber gerade das machte es doch zum Pageturner. Man wusste nie, was als nächstes kommen würde; auf was die Autorin abzielte und wohin sich alles entwickeln würde. Es war und blieb ein großes Fragezeichen. Und auch, weil sich die Plots nicht in das bekannte Bild eines Young Adult – Romans einfügen wollten, hatte die Storyline etwas Besonderes an sich.
Im Grunde ist „Nothing left for us“ eine klassische Young Adult Geschichte über Freundschaft, Selbstfindung, Liebe und den typischen Problemen von Teenagern. Aber gleichzeitig ist sie auch eine Geschichte über zwei Jugendliche, die nicht unbedingt Anschluss fanden an ihrer Schule und deshalb stets als Einzelgänger ihren Weg bestritten. Während des Lesens sind mir zahlreiche Tribute eingefallen, die ich in meiner Rezension unbedingt nennen wollte – aber inzwischen sind die alle wieder spurlos verschwunden; weil sie dann doch nicht so recht passten. Einerseits empfand ich das Geschehen als sehr nerdig und fast etwas abgedreht, und dann wiederum als sehr alltäglich; wie aus dem echten Leben gegriffen. Durch den Podcast kommt ein Einschlag von SciFi ins Spiel, ohne sich so richtig zu entfalten – die Andeutung reichte vollkommen, um die entsprechende Wirkung zu erzielen. Es war stellenweise humorvoll und witzig; andererorts wieder sehr emotional. Der Aspekt mit Youtube barg Spannung, aber auch Einblicke in die dunklen Seiten des Erfolgs.
Ich tu mir ungemein schwer, all meine Eindrücke in diese Rezension zu packen, weil es einfach viel zu viele waren, um sie alle hier zu benennen. Ich mochte das, was geschah; war gefesselt und neugierig; gespannt und interessiert. Das Ganze ist kurzweilig und deshalb immens schnell zu lesen; unterhaltsam aber doch auch tiefgründig. Wir bekommen es mit Leistungsdruck, unerwiderte Liebe, Outings und der Tatsache zu tun, dass es auch in der heutigen Zeit noch immer nicht okay zu sein scheint, queer oder anders zu sein. Aber es gab auch mehrere Faktoren, die mir nicht so recht zusagten – so waren die Podcast-Einträge oft einfach verwirrend und man musste alles aus den Zeilen dazwischen herausfiltern .. ja beinah erraten. Das bremste mich immer wieder ziemlich aus und ließ auch den Lesefluss ins Stocken geraten. Dann waren manche Szenen auch einfach zu unglaubwürdig, von zu weit hergeholt und chaotisch. Aber das wiederum sorgte auch dafür, dass ich oft den Eindruck hatte, mich inmitten eines Teenager-Kopfs zu befinden, schließlich herrscht auch da meist Chaos.
Das Ende bot dann nochmal ein breites Spektrum an Gefühlen. Ich war zutiefst berührt, wie innig die Freundschaft zwischen Aled und Frances geworden ist – wie aufopferungsvoll und loyal sie hinter sich stehen und wie stark das Vertrauen sich entwickelte. Apropos entwickeln: das tun auch die Figuren; und zwar längst nicht nur die Protagonisten, sondern ausnahmslos. Und der Weg, bis sie dort sind, wo sie hinwollten – der Weg zu sich selbst, war das Abenteuer, das dieses Buch bot.
Die Charaktere in „Nothing left for us“ bestechen vor allem in einem einzigen Punkt: in der Besonderheit. Keiner der agierenden Figuren lässt sich bedingungslos in eine Schublade stecken, weil sie alle etwas an sich haben, das sie vom Einheitsbrei abhebt. Aber es machte es mir stellenweise auch etwas schwer, mich in sie hineinzuversetzen. Frances schien noch die „normalste“ innerhalb der bunten Truppe zu sein, doch selbst bei ihr stieß ich immer wieder an meine Grenzen. Sie ist nicht in der klassischen Version sympathisch, aber liebenswert war sie doch allemal. Trotzdem war einiges, von dem, was sie sagte, dacht und tat, nicht wirklich nachvollziehbar. Vielleicht war das auch unserem großen Altersunterschied zu verdanken, denn wo ich schon zahlreiche Erfahrungen sammeln konnte, da war sie noch sehr naiv und unerfahren. Mit ihrer Liebe zu unmöglichen Kleidungsstücken, mit kuriosen Mustern und ihrem Hang zum Drama brachte sie mich gleich mehrfach aus der Fassung .. aber irgendwie auch zum Schmunzeln. Im Grunde war sie eine typische Einzelgängerin, die noch nicht so recht wusste, wohin der Weg sie führen würde – außer nach Cambridge. Die erste große Liebe war für sie ebenso fremd wie total normale Konversation mit Mitschülern. Sie stellte sich manchmal auch echt dümlich an, wenn man das Kind mal beim Namen nennen möchte. Und da gab es dann auch Passagen, in denen ich einfach genervt von ihr war. Es gab so viele Steilvorlagen für sie, die sie aber alle dermaßen gegen die Wand fuhr, dass ich mehrmals den Kopf schütteln musste. Aber es passte dann auch wieder zu ihrem Wesen. Schwer zu erklären.. aber Fakt ist jedenfalls, dass Frances und ich eher keine Freunde wurden; ich mich aber bedingungslos mit ihr arrangieren konnte. Und warum? Weil sie die Handlung aktiv vorantrieb und weil der Weg, den sie zu bestreiten hatte, niemals frei von Hindernissen sein kann. Es hätte auch schlicht nicht gepasst, eine unglaublich sympathische, glaubwürdige und reife Protagonistin einzusetzen, weil damit die gesamte Geschichte gekippt wäre.
Aled hatte es da etwas leichter, wenn auch nur minimal. Er erschien mir von Anfang an etwas reifer, und weniger chaotisch; gradliniger .. aber nicht weniger eigenbrödlerisch. Er war, für mich, der wohl liebste Charakter, vielleicht weil er so nerdig, aber dabei doch echt süß wirkte. Aled ist der geborene Einzelgänger, der mit Gesellschaft wenig anfangen kann und sich mehr auf sich selbst und seinen Podcast konzentriert. Doch wo ich anfangs noch dachte, seine eigene Geschichte wäre zu glatt, da wurde ich nach und nach eines besseren belehrt – bis ich merkte: ich hätte nicht falscher liegen können. Aled’s Background scheint zunächst noch rosarot, doch je näher wir den Schüler kennenlernen, umso deutlicher wird es, dass er viel mehr zu erzählen hat, als nur seinen Podcast. Und erst als das aufgedeckt wurde, machen auch die einzelnen Folgen so richtig Sinn. Aled hat mit „Radio Silence“ ein Ventil geschaffen .. eine Möglichkeit, sich mitzuteilen, ohne das offensichtliche direkt auszusprechen. Und ich glaube, genau das beschreibt den jungen Mann ziemlich gut: er ist nicht offen, nicht kommunikativ, nicht mit großartig viel Rückgrat ausgestattet; aber er besitzt ein Herz, das er seinen Freunden gegenüber nicht nur zeigt, sondern auch beweist. Aled ist 100% loyal – ein guter Kerl, der eine Menge zu sagen hat, aber es einfach nicht tut.
Und dann haben wir noch zahlreiche Nebenfiguren, die aber allesamt genau so detailliert und greifbar ausgearbeitet wurden, wie die Protagonisten. Alice Oseman ist es gelungen, jedem von ihnen Leben einzuhauchen und eine eigene Geschichte zu verpassen. Und so fand ich zum ein oder anderen auch eine echte Bindung, die mich zum Teil richtig erschreckte. Immerhin berührte mich sogar die Schulkameradin, die eigentlich keine große Rolle spielte, auf einer Ebene, wie es andere Figuren aus anderen Büchern nicht einmal schaffen, wenn sie es drauf anlegen würden.
Der Schreibstil von Alice Oseman war mir ja inzwischen bekannt. Nicht nur in „Heartstopper“ hat sie wundervolle Dialoge kreiert, sondern auch in „Loveless“ bewies sie, dass sie mit Worten unfassbar gut umgehen kann. Genau so wie sie dort bereits in der ersten Person, und das nur aus Sicht der Protagonistin erzählte, so tut sie das auch hier in „Nothing left for us“, was auch hier wieder ein Gefühl von Tagebuch entstehen ließ. Ich mag die Art und Weise, wie sie Situationen, Gefühle, Figuren und Schauplätze einfängt und wie lebendig sie alles werden lässt damit. Und dabei lässt sich dieses Buch auch wieder wunderbar leicht und schnell und flüssig lesen, sodass man, wie gesagt, nur so durch die Seiten rauscht. Einzig die Podcast-Einträge waren für mich ein gewisser Störfaktor, obwohl sie natürlich dazu gehörten und dringend für die Geschichten gebraucht wurden. Ohne hätte das gesamte Buch nicht funktioniert – aber mir persönlich sagten diese Passagen einfach nicht so recht zu. Ansonsten bin ich aber nach wie vor ein großer Fan davon, wie Alice Oseman schreibt und wie sie es immerzu schafft, mich an die Seiten zu fesseln; selbst wenn die Handlung stellenweise mal nicht allzu fesselnd ausfällt.
„Nothing left for us“ von Alice Oseman ist eine süße Geschichte, mit erstaunlich viel Tiefgang, über die alltäglichen Probleme von Teenagern. Aber auch über Leistungsdruck, Einsamkeit, Freundschaft, Liebe und Selbstfindung. Mit genau der richtigen Brise Humor erzählt uns die Autorin von zwei Menschen, die sich zufällig kennenlernen und dann langsam annähern – zwischen denen eine Freundschaft entsteht, die so tief geht, dass alles andere um sie herum verblasst. Mir gefiel vor allem der Aspekt, dass die Liebe hier nicht in gewöhnlicher Form eine Rolle spielt, sondern eher Randthema ist und dabei trotzdem so eingehend beleuchtet wurde. Es war mit Sicherheit nicht alles perfekt – schon gar nicht die Figuren oder die Nachvollziehbarkeit.. und auch die Podcast-Folgen waren teils etwas wirr und hielten mich auf; aber im Gesamten haben mich Frances, Aled und Co. wirklich gut unterhalten und immer wieder berührt.
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Alice Oseman veröffentlichte den ersten Roman mit 19 Jahren. Inzwischen sind drei weitere Jugendromane erschienen sowie die erfolgreiche Webcomicserie Heartstopper. Alice starrt am liebsten stundenlang auf einen Computerbildschirm, stellt dabei die menschliche Existenz in Frage und tut alles Mögliche, um einen ordentlichen Bürojob zu vermeiden.
(c) by Loewe Verlag
An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Rezension meiner ganz persönlichen Meinung entspricht und bei jedem Leser anders ausfallen kann. Außerdem möchte ich mich gerne beim Loewe Verlag bedanken: für alle Bilder und Klappentexte sowie Zitate benutzen zu dürfen.