||» Rezension «|| „Thalamus“
Einzelband
Er kann Dinge, die er nicht können dürfte. Er weiß Sachen, die er nicht wissen sollte.
Eine abgeschiedene Rehaklinik mitten im Wald, viele Kilometer entfernt von der nächsten Ortschaft: In dieser Einsamkeit erzielt der Markwaldhof sensationelle Ergebnisse in der Behandlung von Traumapatienten. Auch Timo erholt sich hier schnell von seinem Motorrad-Unfall. Viel zu schnell! Denn nachts, wenn die Lichter ausgehen, beginnt ein ganz anderes Leben im Markwaldhof. Aber Timo’s Sprachzentrum ist noch immer komplett blockiert, sodass er niemandem davon erzählen kann.
„Thalamus“ ist inzwischen das 9. Buch, das ich von der Autorin gelesen habe. (dazu zähle ich auch die gemeinsamen Werke mit Arno Strobel). Ich hatte ein wenig das Gefühl, als würden die Geschichten immer weniger überzeugend werden im Laufe der Jahre und besonders bei „Aquila“ tat ich mir unheimlich schwer, es zu mögen. Umso gespannter war ich, wie mir ihr neues Werk gefällt; denn egal welche Durchhänger auch auftreten, Ursula Poznanski wird immer zu meinen Autobuy-Authors gehören. Ich hab „Thalamus“ also am Erscheinungstermin gekauft und dann auch nach kurzer Verzögerung relativ zügig gelesen. Heute kann ich euch meine abschließende Meinung zu dem Buch mitteilen. Viel Spaß dabei. ♥
Die Geschichte beginnt mit einer Menge Rasanz und Tempo – im wahrsten Sinne des Wortes: denn wir erleben Timo’s Unfall hautnah mit. Im Krankenhaus lässt diese Geschwindigkeit etwas nach; es bleibt aber nach wie vor spannend, schließlich möchte man als Leser wissen, ob er jemals wieder der wird, der er einst war. Richtig los geht es dann aber schon kurze Zeit später mit der Verlegung an den Markwaldhof. Schnell wird klar: da stimmt was ganz und gar nicht. Und die Tatsache, dass Timo eben nicht über seine gruseligen Erlebnisse bei Nacht sprechen kann, sorgt zusätzlich dafür, die Spannungskurve sehr hoch zu halten. Leider stellt sich dann relativ schnell eine gewisse Routine ein, denn die Nächte in der Rehaklinik wiederholen sich; und das was Timo in dieser Zeit erlebt unterscheidet sich nicht nur unwesentlich von den vorherigen Nächten. Langweilig wurde es trotzdem nicht, schließlich bleibt der Gruselfaktor vorhanden und als Leser rätselte ich fleißig mit, was mit dieser Klinik, deren Patienten, Ärzten und Therapeuten denn nicht stimmte. Die Autorin versteht es aber einfach, den Leser völlig im Dunkeln fischen zu lassen. Egal wie lange und wie eingehend ich mir auch den Kopf zerbrach; ich hatte keine Ahnung, was hinter allem stecken könnte. Ich bin jetzt rückblickend froh, dass sich dieser Leerlauf nicht zu lange hinzog, denn obwohl ich die „Ruhe“ auch genoss und mich dadurch verpflichtet sah, Überlegungen anzustellen, sollten solche Phasen nie zu lange ausfallen. Schon Anfang des letzten Drittels nimmt die Handlung wieder massiv Fahrt auf, lieferte einige Überraschungen und Wendungen und wurde immer spannender, rasanter und mitreißender. Ich war wirklich erstaunt, dass sich dieses große Finale so in die Länge zog, ohne dabei an Qualität einzubüßen. Großartig! Und genau so großartig war auch die Idee, die hinter diesem Buch steckt. Natürlich setzt Poznanski wieder auf eine sehr techniklastige Atmosphäre, die aber keineswegs zu kompliziert oder zu detailreich ausgeleuchtet wurde. – Im Gegenteil: das ganze ist sehr gut verständlich, wurde schön erklärt und ist somit der bevorzugten Altergruppe (also Teenies ab 14 Jahren) angepasst. Die Auflösung des Haupttwists ist unglaublich überraschend und sehr unerwartet und dabei kommt die Handlung mit nur ganz wenigen Nebenplots aus – es dreht sich quasi alles nur um einen Strang. Doch auch die wenigen Nebenplots wurden am Ende so aufgelöst, dass ich rund herum zufrieden war mit dem Abschluss und nur weiter schwärmen könnte – deswegen hör ich jetzt einfach auf mit diesem Abschnitt.
Blöd nur, dass ich nun auf den Schreibstil zu sprechen komme; denn da geht der Hype weiter. Ich bin seit jeher ein riesiger Fan der Autorin, nicht zuletzt wegen ihres Schreibstils. Sie schreibt auch in „Thalamus“ wieder enorm flüssig und rasant, sodass man nur so durch die Seiten fliegt. Die technischen Komponenten wurden, wie gesagt, ausreichend erklärt, ohne dabei ellenlange Informations-Abschnitte zu schaffen. Sie baut die Infos und Erklärungen nahtlos ins Geschehen ein und bringt damit den Lesefluss nicht ins Wanken – denn der ist definitiv gegeben. Außerdem fand ich es bemerkenswert, wie glaubhaft sie Timo rüber brachte; immerhin war er stumm und seine Gefühle wurden so authentisch rüber gebracht. Genauso verhielt es sich mit den anderen Emotionen, die auftraten; auch die fand ich enorm gut transportiert und zu Papier gebracht. Erzählt wird hier übrigens, wie von Ursula Poznanski gewohnt aus der dritten Person und dabei begleiten wir ausschließlich Timo; auf weitere Perspektiven wird hier bewusst verzichtet, sodass wir stets nur den Dreh,- und Angelpunkt der Geschichte vor Augen geführt bekommen.
Durch die alleinige Aufmerksamkeit, die auf unserem Protagonisten ruht, bekam er eine gehörige Portion Tiefgang. Wir lernten nicht nur Timo als Person kennen, sondern erfuhren auch ein paar Einzelheiten aus seiner Vergangenheit – was er früher für Hobbies hatte, welchen Sport er liebte, usw. – eben alles, was er jetzt nach dem Unfall womöglich nie wieder machen konnte. Dabei fing Ursula Poznanski seine Emotionen sehr authentisch ein, egal ob Verzweiflung, Kampfgeist oder Wut – Timo’s Gefühle waren für mich glaubhaft und realistisch; und vor allen Dingen ausgewogen. Weder versank er in Selbstmitleid noch nahm er alles zu sehr auf die leichte Schulter. Dadurch, dass er eben nicht sprach, fand ich es enorm wichtig, dass er nachvollziehbar dachte. Er besaß eine gehörige Portion Neugierde und Mut – eine Kombination, die Timo so manches Mal in gefährliche Situationen brachte. Vielleicht könnte man ihm an der ein oder anderen Stelle unterstellen, nicht 100% über seine Handlungen nachgedacht zu haben, bevor er seine Pläne durchzog, doch im Endeffekt sorgte dies ja nur für weitere Spannung und war zum Glück nicht so schlimm, dass ich mich daran gestört hätte. Ich mochte diesen 17-jährigen Jungen unheimlich gerne, konnte gut mit ihm mitfiebern und mich in ihn hinein versetzen; auch wenn ich Gott sei dank noch nie in einer solchen Situation gewesen bin. Seine Entwicklung im letzten Drittel beeindruckte mich und sein Herz trug er auch am rechten Fleck. Was will man mehr?
Die Nebenfiguren, also die anderen Patienten und das Ärzte-Team gefiel mir ebenfalls. Teils sehr undurchsichtig, teils so liebenswert, dass ich mich stets freute, wenn zum Beispiel Carl oder Martin ins Geschehen traten. Besonders Mona fand ich gut getroffen; die ehemalige Turmspringerin, die dank eines Unfalls nun querschnittsgelähmt ist. Ich fand allgemein, dass die Nebenfiguren hier nochmal Abwechslung ins Spiel brachten; denn durch Timo’s Blockade im Sprachzentrum entstanden eben nur durch die Nebencharaktere auch Dialoge – das hat das Buch genau so gebraucht wie die Spannung – war also unverzichtbar.
„Thalamus“ von Ursula Poznanski war endlich mal wieder ein Jugendthriller, der mit „Saeculum“ oder „Erebos“ mithalten kann. Eine großartige Idee, neu und innovativ, verpackt in eine noch großartigere Umsetzung, machen dieses Buch zu einem wahren Pageturner. Glaubhafte und authentische Figuren und ein toller Schreibstil, der mitreißt und fesselt, gehören ebenfalls zum Lieferumfang dazu. Rückblickend stört mich auch dieser gewisse Leerlauf nicht mehr sehr, den ich oben erwähnt habe, sodass ich nun guten Gewissens und ohne Vorbehalte eine absolute Leseempfehlung für all diejenigen ausspreche, die gerne Jugendthriller lesen oder das Genre frisch für sich entdecken möchte. Übrigens passt „Thalamus“ auch herrlich gut in die jetzige Halloween-Zeit. Falls ihr also noch einen Lesetipp für den heutigen Tag oder die kommende Woche sucht: hier ist er. ♥ Ich vergebe deshalb natürlich
Ursula Poznanski ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Jugendbuchautorinnen. Ihr Debüt Erebos, erschienen 2010, erhielt zahlreiche Auszeichnungen (u. a. den Deutschen Jugendliteraturpreis) und machte die Autorin international bekannt. Inzwischen schreibt sie auch Thriller für Erwachsene, die genauso regelmäßig auf den Bestsellerlisten zu finden sind wie ihre Jugendbücher. Sie lebt mit ihrer Familie im Süden von Wien.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Rezension meiner ganz persönlichen Meinung entspricht und bei jedem Leser anders ausfallen kann. Außerdem möchte ich mich gerne beim Loewe-Verlag bedanken, einerseits für die Bereitstellung des Buches als Rezensionsexemplar, andererseits dafür, alle Bilder und Klappentexte sowie Zitate benutzen zu dürfen. Das Urheberrecht liegt natürlich weiterhin beim Verlag.