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21. Juli 2022 0 Von Patchis Books
DAS GEGENTEIL VON HASEN
Anne Freytag
Jugendbuch || Coming of Age
Einzelband
416 Seiten
25. Mai 2020
Heyne Verlag
Hardcover
17,00€
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#werbung #rezensionsexemplar


(c) by Heyne Verlag

Dieses Buch lag jetzt seit dem Erscheinungstermin – also seit über 2 Jahren – auf meinem Sub. Und das, obwohl ich die Bücher von Anne Freytag bisher doch immer so gerne mochte! Trotzdem hatte ich auch ein wenig Angst; immerhin haben mir zahlreiche positive Stimmen im Netz gewisse Erwartungen eingepflanzt, die die Enttäuschung, sollte es mir nicht gefallen, nur umso größer hätte werden lassen. Nun aber scheint der Hype ein wenig abgeklungen, und ich konnte, verhältnismäßig unvoreingenommen an die Geschichte rangehen. Heute möchte ich euch gern verraten, ob ich mich all den Lobeshymnen anschließen kann, oder ob ich doch eher zu der kleinen Minderheit gehöre, die das Buch nicht mochten. Falls ihr also neugierig seid, dann bleibt jetzt gerne dran. Viel Spaß bei der Rezension.

Anne Freytag beweist in „Das Gegenteil von Hasen“ mal wieder, dass sie ein wirklich gutes Händchen für Worte hat. Ihr Stil ist auch in diesem Buch wieder wahnsinnig flüssig zu lesen, absolut verständlich und mit zahlreichen schönen Zitate gespickt. Sie erzählt uns die Geschichte ganz unaufgeregt, aber doch schwingt da immer eine Portion Besonderheit mit, die ihren Schreibstil von anderen abhebt. Die Geschehnisse werden von ihr zum Leben erweckt und als Leser fühlt man sich stets so, als wäre man mitten drin.  Bildhaft und zu 100% greifbar vermittelt sie uns das, was innerhalb der Story passiert und begeistert durch abwechslungsreiche Beschreibungen und einem Talent, stets die richtigen Worte zu finden. Doch es ist eben auch nicht alles gold, was glänzt, denn die Autorin hat sich dafür entschieden, die Handlung aus gleich mehreren Perspektiven zu erzählen. Und das sorgte, zumindest bei mir, erstmal für größte Verwirrung. Immer wieder geriet ich ins Straucheln, musste zurückblättern, um nachzulesen, aus wessen Sicht wir gerade lesen und nochmal „von vorn anknüpfen“. Der Lesefluss kam dadurch nicht nur 1-2 Mal ins Stocken, sondern gefühlt bei jedem Perspektivwechsel. Und dabei sind es ja „nur“ 4 Sichten – nur reichte das schon aus, um in meinem Kopf Chaos zu stiften. Das könnte aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass ich das Gefühl hatte, dass sich hier weniger auf die Personen, als viel mehr auf die Vielzahl an Themen konzentriert wurde .. aber dazu später mehr. Schade eigentlich; denn ansonsten bin und bleibe ich ein großer Fan des Schreibstils – nur fand ich die Gliederung hier eher mäßig geglückt.

Und ebenso mäßig geglückt, war, in meinen Augen, die Charaktergestaltung. Während ich es von Anne Freytag gewohnt bin, dass ihre Figuren stets mit viel Tiefgang und Emotionen ausgestattet sind, so empfand ich Julia & Co. hier als sehr oberflächlich und kaum greifbar. Keiner der Beteiligten erschien mir auch nur annähernd sympathisch und einen richtigen Zugang fand ich allerhöchstens zur unwichtigen Nebenrolle. Es wird viel gemeckert, gemotzt und gejammert; die Handlungsweisen sind nicht so recht nachvollziehbar und  auch sonst bekleckert sich weder Julia, noch Marlene, noch Leonard großartig mit Ruhm. Und ich hätte heulen können, dass das Augenmerk nicht mehr auf der Ausarbeitung der einzelnen Figuren lag. Man hätte einiges aus den Jugendlichen herausholen können; und ich hätte dann auch mehr die Möglichkeit gehabt, mitzufiebern, aber so scheiterte es wohl größtenteils an der Oberflächlichkeit. Jeder war auf seine Weise anstrengend, und doch so nichtssagend. Die ganze Geschichte verlor bereits ihren Reiz, als ich spürte, dass ich keinen Draht zu den Protagonisten fand, weil mir so auch jede Chance auf mitfühlen verwehrt wurde. Dieser Fakt, in Kombination mit der Verwirrung, die durch die Sichtwechsel entstanden war, geschah es nicht nur einmal, dass ich schlicht alles durcheinanderbrachte und mir dauernd irgendwelche Verwechslungen passierten.
Julia ist eine unscheinbare Persönlichkeit, die erst durch ihre Beziehung zum beliebten Sportler überhaupt an ihrer Schule gesehen wird. Damit war das erste Klischee bereits bedient; und dass sie sich dann auch noch als zu fein erachtete, um mit dem „Außenseiter“ in der Öffentlichkeit zu sprechen, ihm im Geheimen aber Hoffnungen auf eine Freundschaft macht, trieb sie zusätzlich von mir weg. Ihr ganzes Verhalten, gepaart mit den unzensierten Gedanken ihres Blogs ergaben eine Antipathie, wie ich sie selten zuvor erlebt habe. Julia ist unreif, kindisch und ihre Worte im Netz, die hätten privat bleiben sollen, zeugen genau davon. Von fehlender Empathie, von Naivität und beinah schon von Arroganz. Wie soll man zu einer solchen Figur ein freundschaftliches, oder zumindest neutrales Verhältnis aufbauen? Für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Und selbst ihre Background-Geschichte, die nur angeteasert, anstatt richtig beleuchtet, wurde, verlieh ihr weder Tiefgang noch Glaubwürdigkeit. Im Gegenteil. Es schreckte mich nur noch mehr ab.
Und mit den anderen verhielt es sich ziemlich ähnlich. Und ich würde mich ohnehin nur wiederholen, weswegen ich jetzt eher nochmal zusammenfassend über Marlene, Leonard und alle anderen Beteiligten spreche: Genau so wie Julia, so wiesen auch die anderen nur wenige sympathische Attribute auf. Während Marlene anfangs noch ganz annehmbar wirkt, ist Leonard ein durch und durch unreifer Kerl, der einiges von sich hält, aber eigentlich nichts zu bieten hat. Und sie alle – egal ob Marlene, Julia oder Leonard machen eine Entwicklung durch, die eher rück- als fortschrittlich scheint. Irgendwie kehrt die Geschichte all die negativen Attribute der Figuren nach außen und zeigt deren wahren Gesichter.
Einzig allein Edgar und Linda bilden sowas wie die Ausnahme. Beide mochte ich auf ihre Art und Weise gerne, auch wenn sie nicht viel eingehender dargestellt wurden, als der Rest. Wahrscheinlich ist dies auch ein wenig meinem kläglichen Versuch geschuldet, mich an einen Strohhalm zu klammern, um wenigstens irgendwen gern zu haben. Aber die beiden waren durchaus liebenswert; weil sie scheinbar völlig unbeteiligt und beeindruckt von all dem Chaos waren. Weil sie beide ein Herz bewiesen und sogar sowas wie Emotionen ausstrahlten, die mich doch tatsächlich erreichten.
Und um nochmal abschließend alles zum Ende zu bringen: ich war doch recht enttäuscht von der fehlenden Tiefe bzw. allgemein von der Ausarbeitung der Charaktere. Vielleicht hab ich zu viel erwartet; vielleicht war wirklich einfach nur der Wurm drin; aber ich hab mir viel mehr Authenzität, Sympathie und Nachvollziehbarkeit gewünscht. So gab es also den ein oder anderen Lichtblick, aber das reichte nicht aus, um mich zu überzeugen. Für eine emotionale Geschichte braucht es ebenso emotionale Figuren, und das war hier leider Mangelware.

Die Idee, die hinter „Das Gegenteil von Hasen“ steckt, ist ebenso vielversprechend wie wichtig. Schon der Klappentext lässt erahnen, in welche Richtung sich die Handlung entwickeln könnte und auf eben diese Umsetzung war ich extrem gespannt. Es ist beinah unumgänglich die Jugend mit den dunklen Seiten des Internets zu konfrontieren – ihnen aufzuzeigen, was (Cyber) Mobbing mit den Opfern macht. Ich war regelrecht dankbar, dass sich eine so großartige Autorin diesem Thema annimmt und hab mich echt gefreut, in die Geschichte abzutauchen und miträtseln zu können, wer hinter diesem feigen Angriff steckt. Aber dann kam es doch anders.
Schon der Einstieg bereitete mir gewisse Schwierigkeiten. Die kurzen Kapitel treiben zwar die Kurzweiligkeit voran, erhöhen aber das Risiko, nicht mehr so recht mitzukommen mit den Perspektivwechsel. Und so ging es mir. Ich musste zwei Mal komplett neu anfangen, weil ich immer wieder den Faden verloren hatte und die Figuren durcheinander brachte (hätte mir vielleicht die erste Warnung sein können).  Doch als der Knoten dann endlich geplatzt war, hätte es theoretisch losgehen können – tat es auch.. aber negativ, denn meiner Meinung nach ist in dem Buch schlicht zu viel gewollt und zu wenig gekonnt. Jede Problematik wurde nur angerissen – quasi mal irgendwo erwähnt, aber dann nicht näher behandelt. Wir lesen von Streitereien unter Mitschülern, von Beliebt- und Unbeliebtsein, von Homosexualität, von Sex ganz allgemein, von Affären, von Minderwertigkeitskomplexen, von Mobbing, von fehlender Führung, von Bodyshaming, von ungewollten Schwangerschaften und noch endlos vielen mehr und ich war, spätestens ab der Hälfte, einfach nur bedient. Das Prinzip einer Beziehung bestand hier rein nur aus Körperlichkeiten; Gespräche fanden gefühlt nie statt. Stattdessen scheint es völlig okay, sich gegenseitig fremd zu gehen, zu beleidigen, zu prügeln, usw. Alles wirkte so harmlos und weil diese zahllosen Themen so viel Raum einnahmen, kam die eigentliche Geschichte – der eigentliche Spannungsbogen gar nicht mehr zu Wort. Während des Lesens kam mir noch nicht einmal mehr der Gedanke, dass es ja galt, herauszufinden, wer Julia’s Blogeinträge öffentlich machte weil ich zu beschäftigt damit war, dem Trubel an der Schule zu folgen. Aber obwohl so viel los ist, geschieht irgendwie trotzdem nichts interessantes. Ich hatte eher das Gefühl, als würde es nur so vor sich hindümpeln; wohl einfach, weil der Tiefgang fehlte und das Spannungselement in den Hintergrund gedrängt wurde. Dabei gab es durchaus gute Ansätze, aber ich bin, jetzt rückblickend der Meinung, dass hier weniger wesentlich mehr gewesen wäre.
Und dann kam das Ende. Der Punkt, weswegen ich überhaupt am Ball geblieben bin und nicht mitten drin aufgab. Ich wollte um jeden Preis wissen, wer der Täter ist. Wer wagt einen so feigen Angriff – und wer ist das eigentliche Opfer? Zilet die ganze Aktion wirklich darauf ab, Julia bloß zu stellen? Oder ist sie nur der Kollateralschaden? Doch ganz ehrlich? Ich hab den Schluss kein Stück verstanden. Erst nachdem ich 100 Seiten zurückgeblättert und sie ein weiteres Mal gelesen hatte, wusste ich überhaupt, wer der Drahtzieher war. Aber die Beweggründe blieben komplett undurchsichtig. Oder ich hab sie einfach nicht verstanden. Das ganze war so abwegig, so unvorhersehbar und irgendwie unpassend. Und deshalb blieben am Ende auch nur zahlreiche Fragezeichen in meinem Kopf und echte Enttäuschung im Herzen. Die Umsetzung war einfach nicht das, was ich mir erhofft und versprochen hatte.

Okay. Wir fassen zusammen: „Das Gegenteil von Hasen“ hatte, von der Grundidee her, wirklich eine ganze Menge Potential. Doch leider wurde die Handlung längst nicht so umgesetzt, wie ich sie am wirkungsvollsten empfunden hätte. Der Schreibstil mag dabei noch enorm angenehm und schön gewesen sein, doch schon bei der Charaktergestaltung scheiterte es massiv. Viel zu oberflächlich behandelt Anne Freytag ihre Figuren und schafft damit keine echten, greifbaren Menschen, sondern blasse Schemen, die entweder gar nichts in mir auslösen konnten, oder direkt unsympathisch wirkten. Dazu diese massive Flut an Themen, denen man in dieser Anzahl niemals gerecht werden konnte und schon war der Flop garantiert. Ich bin echt enttäuscht, weil einerseits so viel verharmlost wird, und andererseits wiederum nichts ausgesagt wurde. Leider keine Empfehlung an der Stelle.

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Anne Freytag hat International Management studiert und als Grafikdesignerin und Desktop-Publisherin gearbeitet, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Erwachsenen- und All-Age-Romanen widmete. Für ihre ersten beiden Jugendbücher wurde die Autorin zwei Mal in Folge für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Für »Nicht weg und nicht da« wurde sie mit dem Bayerischen Kunstförderpreis 2018 in der Sparte Literatur ausgezeichnet. Zuletzt bei Heyne fliegt erschienen: »Das Gegenteil von Hasen«.

(c) by Heyne Verlag

An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Rezension meiner ganz persönlichen Meinung entspricht und bei jedem Leser anders ausfallen kann. Außerdem möchte ich mich gerne beim Heyne Verlag bedanken: für alle Bilder und Klappentexte sowie Zitate benutzen zu dürfen. «