||» Rezension «|| Der Heimweg [von Sebastian Fitzek]
Sebastian Fitzek
Psychothriller
Einzelband
Wer das Datum seines Todes kennt, hat mit dem Sterben schon begonnen
Es ist Samstag, kurz nach 22.00 Uhr. Jules Tannberg sitzt am Begleittelefon. Ein ehrenamtlicher Telefonservice für Frauen, die zu später Stunde auf ihrem Heimweg Angst bekommen und sich einen telefonischen Begleiter wünschen, dessen beruhigende Stimme sie sicher durch die Nacht nach Hause führt – oder im Notfall Hilfe ruft. Noch nie gab es eine wirklich lebensgefährliche Situation. Bis heute, als Jules mit Klara spricht. Die junge Frau hat entsetzliche Angst. Sie glaubt, von einem Mann verfolgt zu werden, der sie schon einmal überfallen hat und der mit Blut ein Datum auf ihre Schlafzimmerwand malte: Klaras Todestag! Und dieser Tag bricht in nicht einmal zwei Stunden an ..
(c) by Droemer
Obwohl ich von „Das Geschenk“ nicht allzu begeistert war, war die Vorfreude auf den neuen Thriller von Sebastian Fitzek grenzenlos. Nach langem Warten war es nun soweit: „Der Heimweg“ trudelte bei mir ein und erzeugte einen regelrechten Freudentaumel. Dass das Buch nicht lange auf meinem SuB verweilte, muss ich wohl nicht extra erwähnen. Aber wie sieht es nun mit meiner Meinung aus? Hat mich Fitzek endlich wieder komplett überzeugt oder war es eher wieder Durchschnitt? Das und noch vieles mehr, verrate ich euch jetzt. Viel Spaß bei meiner Rezension.
In dieser Geschichte begleiten wir, wie es der Klappentext auch schon verrät, gleich zwei verschiedene Figuren. Jede von ihnen bringt ihre eigene Perspektive mit und so wechseln sich die beiden in unregelmäßigen Abständen ab. Jules Tanneberg, der am Begleittelefon dafür sorgt, dass Frauen nachts sicher nach Hause kommen; und Klara – eine Frau, die besagtes Begleittelefon in Anspruch nimmt. Beide Charaktere sind auf ihre Art unheimlich authentisch und greifbar, sehr lebendig und beide sind tiefgründig genug, um mit ihnen mitzufiebern. Mit Klara und Jules treffen Welten aufeinander, denn charakterlich unterscheiden sie sich wie Tag und Nacht. Jedoch sind beide vom Leben gezeichnet; sie gehen nur jeweils anders damit um. Jules, ein junger Mann, dessen Schicksal derart grausam ist, dass es dem Leser beinah körperlich weh tut, seine Geschichte zu erfahren; und Klara, die mit ihrer Hektik, ihrer Angst, ihren katatrophalen Lebensumständen für Beklemmung sorgt.
Ich mochte beide Parts enorm gern, fand zu beiden eine Verbindung und konnte mich ganz auf sie einlassen. Jules ist extrem sympathisch; beweist durch sein Einfühlungsvermögen ein großes Herz und sorgt mit seiner bedachten Art immer wieder für eine gewisse Ruhe – eine Ruhe, die die Handlung definitiv nötig hat. Er lockert die Beklemmung, die beim Leser unweigerlich auftritt, auf; animiert zum Durchatmen und ist alles in allem ein wirklich toller, vielschichtiger Charakter. Intelligenz und Mut sprechen ebenfalls für ihn, genau so wie Stärke, Kraft und die Fähigkeit, immer die richtigen Worte zu finden.
Klara hingegen ist rätselhaft, undurchschaubar und schon nach wenigen Seiten fängt man an, an ihr und ihrer Wahrnehmung zu zweifeln. Und exakt das macht sie irrsinnig interessant. Man weiß nie, woran man bei ihr ist, was Realität und was Einbildung ist. Klara ist hochgradig vielschichtig, beweist aber ebenso wie Jules auch ein großes Herz und wahre Stärke. Sie ist eine Kämpferin, eine Persönlichkeit, mit der man bedingungslos mitfiebern und mitfiebern kann und ihre Vorgeschichte wurde von Herrn Fitzek wirklich bis aufs Äußerste ausgereizt, sodass ihr Tiefgang wirklich beeindruckend ist. Dieser Schmerz, den Klara verströmt, nimmt einen für sie ein und egal wie hin und hergerissen man auch sein mag, man glaubt ihr und wünscht ihr von Herzen nur das Beste. Man will, dass die Geschichte gut ausgeht für sie – aber tut sie das?
Allgemein ist es dem Autor wieder meisterhaft gelungen allen Beteiligten eine Undurchsichtigkeit angedeihen zu lassen, die sprachlos macht. Man hat dieses Buch nicht aufmerksam gelesen, wenn man nicht jedem von ihnen mindestens einmal misstraute. Und am Ende entpuppen sie sich als das pure Gegenteil von dem, wovon man sich eigentlich sicher war, was sie im Schilde führten. Selbst der unwichtigste Nebencharakter rückt mal kurz ins Fadenkreuz des Lesers und verschwindet daraus wieder, nur um im nächsten Kapitel zurückzukehren. „Wer zur Hölle bist du, und was ist dein verdammtes Ziel?“ Das sind die zwei vorherrschenden Fragen, die einem während der Begleitung der Figuren durch den Kopf schossen. Und das spricht ganz klar für das unglaubliche Talent des Autors.
Der Schreibstil von Sebastian Fitzek muss wirklich nicht mehr groß thematisiert werden. Dieser Mann schreibt, gefühlt, um sein Leben und erzeugt mit bloßen Worten eine enorm intensive, packende Spannung, die einen immer und immer wieder den Atem anhalten lässt. Und trotz all dem, kommt man wahnsinnig schnell durch die Seiten. Ja man rauscht quasi nur so durch die Handlung und kann sich jedes noch so kleine Detail wunderbar leicht vor Augen führen. Wie auch schon bei seinen anderen Romanen fühlte ich mich auch hier wieder mehr in einen Action-Thriller-Film versetzt, als in ein „simples“ Buch. Ich war mittendrin, hörte überall verdächtige Geräusche und ertappte mich mehrmals dabei, wie ich zusammenzuckte, wenn dementsprechende Elemente vorkamen. Mich hat Herr Fitzek jedenfalls mit Haut und Haaren verschlungen, eingenommen und selbst heute, einige Tage nach dem Beenden, noch nicht richtig losgelassen. Diese Atmosphäre, die hier herrschte war so düster, so beklemmend und schmerzhaft, so unheimlich gruselig und brutal. Und da wären wir auch direkt beim nächsten Stichwort: was mir sofort auffiel, war die Brutalität, mit der der Autor die Geschichte erzählt. Hier wird nichts schön geredet, kein Blatt vor den Mund genommen oder irgendwas ausgespart – es ist grausam, gewalttätig und schockierend; aber es spiegelt mit Sicherheit das wahre Leben so manchen Menschen da draußen. (an dieser Stelle möchte ich gern nochmal drauf hinweisen, dass es hier explizit um *häusliche Gewalt* («- Spoiler) geht und dies auch sehr detailliert und eingehend beschrieben wird. Wer damit Probleme hat, sollte das Buch auf jeden Fall mit einer gewissen Vorsicht angehen. Oder die Finger davon lassen.)
Zuletzt noch der Abschnitt zur Idee und ihrer Umsetzung; der jetzt wohl sehr lang ausfallen wird. Schon der Einstieg signalisiert dem Leser, was da noch auf ihn zukommen wird. Die Spannung ist von der ersten Seite an nervenaufreibend und treibt einen immer wieder voran. Die Neugier darauf, was sich hinter allem verbirgt – ob Klara den Weg nach Hause ohne Vorkommnisse bewältigt; was wahr und was Wahn ist; wer hier eigentlich wirklich der Böse ist; wer welches Ziel verfolgt. Fragen über Fragen, die sich in meinem Kopf auftaten ließen das Buch schon früh zum Pageturner werden und immer neue, völlig überraschend auftretende Wendungen erhöhen den Lesespaß nochmal um ein Vielfaches. Aber von Spaß kann eigentlich keine Rede sein, immerhin ist das Buch wie ein Horror,- und ein Actionfilm zugleich. Die Idee hinter „Der Heimweg“ ist schockierend wie genial gleichermaßen und begeistert durch wahre Psychospielchen, die den Leser bis aufs Äußerste verwirren. Mir ist immer noch schleierhaft, wie man eine einfache Idee derart vielschichtig und ausgeklügelt ausarbeiten kann, um so eine Handlung zu kreieren. Jeder Plot, der hier verbaut wurde, ist grandios, 1000% unvorhersehbar und genau da, wo er hingehört. Es ist von Seite 1 bis Seite 400 eine rundherum stimmige Storyline ohne Logikfehler und ohne Langeweile, aber mit einem deutlich erkennbaren, roten Faden. Selbst im mittleren Teil des Buches spitzt sich die Lage von Klara und Jules immer weiter zu und steigert sich von Kapitel zu Kapitel weiter ins bodenlosen Grauen. Jede Empfindung der Protagonisten ging 1:1 auf mich über, egal ob sie vor Angst zitterten oder vor Kälte bibberten; ich tat es ihnen gleich.
Sebastian Fitzek spielt mit den Überlegungen des Lesers, jagt ihn ganz bewusst auf zahlreiche falsche Fährten und tat mir mit oben genannten Brutalität fast körperlich weh. Er entschied sich hier für ein immens schweres Thema, das einem auch Wochen später noch schwer im Magen liegen wird, weil es so alltäglich aber trotzdem so erschütternd ist. Er deutet mit dem Finger auf die Täter, stellt ganz deutlich klar, wie falsch das Verhalten derer ist; aber auch, wie falsch manche Opfer darauf reagieren. Mit dieser Thematik bringt er nochmal ganz frischen Wind in die Geschichte, weil es neben der Unterhaltung eben auch noch eine klare Botschaft gibt.
Das große Finale, der fulminante Showdown stellt dann doch tatsächlich alles woran man je geglaubt hat, in Frage. Es ist ein derart temporeicher, spektakulärer Schluss, dass man völlig sprachlos zurück bleibt. Diese Auflösung ist unbeschreiblich schockierend, kommt komplett überraschend und man muss seinen imaginären Hut ziehen vor so viel Talent. Jeder Gedanke, jede Idee, jede Überlegung die in meinem Kopf stattfand war dermaßen falsch, dass ich beinah darüber lachen muss. Und wäre das alles nicht so erschreckend, hätte ich das sicher getan. Das ist ein Geniestreich; lieber Herr Fitzek; ein Meisterwerk, das seinesgleichen sucht – besonders mit diesem grandiosen Ende. Es war perfekt!
Hinten auf dem Buch steht “ [..] Sebastian Fitzeks bislang unheimlichster Psychothriller.“ und das unterschreibe ich zu 1000%. „Der Heimweg“ war für mich einer der, wenn nicht sogar DER beste Psychothriller, den ich in meinem Leben je gelesen habe! So viel Unvorhersehbarkeit, so viel Brutalität und so viel Beklemmung habe ich selten verspürt – schon gar nicht alles zur gleichen Zeit. Ich denke, es spricht auch für dieses Buch, dass ich nicht in der Lage war, es zu lesen, wenn ich allein zu Hause war. Ein grandioser Aufbau, der in einem Finale gipfelt, mit dem man niemals, ich wiederhole, niemals rechnen würde. Wie ausgeklügelt und geschickt kann eine Geschichte denn nur aufgebaut sein? Ich bin sprachlos – ehrlich sprachlos und möchte mehr davon; viel mehr. Deshalb sprenge ich mein Bewertungssystem und vergebe seltene 5+ von 5 Sternen.
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Sebastian Fitzek, geboren 1971, ist Deutschlands erfolgreichster Autor von Psychothrillern. Seit seinem Debüt „Die Therapie“(2006) ist er mit allen Romanen ganz oben auf den Bestsellerlisten zu finden. Mittlerweile erscheinen seine Bücher in sechsunddreißig Ländern und sind Vorlage für internationale Kinoverfilmungen und Theateradaptionen. Als erster deutscher Autor wurde Sebastian Fitzek mit dem Europäischen Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet und 2018 mit der 11. Poetik-Dozentur der Universität Koblenz-Landau geehrt.
Er lebt in Berlin.
(c) by Droemer
An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Rezension meiner ganz persönlichen Meinung entspricht und bei jedem Leser anders ausfallen kann. Außerdem möchte ich mich gerne beim Droemer Knaur Verlag bedanken: für alle Bilder und Klappentexte sowie Zitate benutzen zu dürfen.
[…] Papierfliegerin […]
Guten Tag,
ich habe letztens auch dieses tolle Buch gelesen, stehe aber noch vor einer Frage, die sich mir nicht klärt:
Wie kann es sein dass Jules Vater beim Treffen mit Klara ihr Todesdatum an die wand geschrieben hat, das auch noch in der Wohnung seines Sohnes, obwohl er doch gar nicht der Kalenderkiller ist? Jules versichert ja am Ende, dass er mir seinem Vater in dieser Hinsicht nichts zu tun hat – wie kann es dann sein, dass auch Jules das gleiche Opfer auswählt?
Würde mich sehr über eine Erklärung freuen!
Beste Grüße
Hallo Dario,
das ist eine wirklich interessante Frage. Ich hab mir jetzt einige Tage lang Gedanken darum gemacht,
kann dir aber leider keine brauchbare Antwort darauf geben. Es ist schon ein Weilchen her, dass ich
„Der Heimweg“ von Fitzek gelesen habe, und ich gebe zu, dass die Erinnerungen so langsam aber sicher
verblassen – vor allem, was die Einzelheiten und Kleinigkeiten betrifft.
Gerade frage ich aber mal bei Kollegen nach, falls das gewünscht.
Viele liebe Grüße
Lisa
Ich brauche die Antwort darauf.. das zerbricht mir den Kopf!
Das frage ich mich auach seitdem ich es gelesen habe und kommen auf keinen Nenner. Weshalb hatte der Vater Sex in Jules Bett und hat dann das gleiche wie Jules getan, wenn sie doch keine Komplizen waren????
Genau das gleiche habe ich mich auch gefragt. Wie hat de Vater sich Zutritt zu der Wohnung verschafft, um dort mit Klara sex zu haben. Gibt es mittlerweile eine Erklärung?
Genau das gleiche hab ich mich auch gefragt und deshalb das buch nochmal gelesen. Hat mich verrückt gemacht ich glaube es ist ein logik fehler in dem buch.
Meine einzigste Erklärung ist das der Vater den sohn durch die schrift an der wand vielleicht nachgeahmt hat? Der Vater hat ja von den morden gewusst.
Ich fand das buch auch toll aber sowas macht mich kirre