||» Rezension «|| Die Vertraute [von Gilly Macmillan]

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14. Februar 2022 1 Von Patchis Books
DIE VERTRAUTE
Gilly Macmilan
Übersetzung: Sabine Schilasky
Kriminalroman
Einzelband
480 Seiten
24. Januar 2022
blanvalet Verlag
Paperback
15,00€
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#werbung #rezensionsexemplar


Jeder lügt – aber manche Lügen sind tödlich … Der neue hoch spannende Roman von Gilly Macmillan, Bestsellerautorin von »Die Nanny«!

Lucy war neun Jahre alt, als ihr kleiner Bruder verschwand. Lucy war die einzige Zeugin und ihre Aussage der einzige Anhaltspunkt für die erfolglosen Ermittlungen. Doch ob ihre Erinnerungen an die Nacht wahr sind, weiß Lucy selbst nicht – seit ihrer frühen Kindheit hat sie eine blühende Fantasie, die sie manchmal die Grenzen der Realität überschreiten lässt. Drei Jahrzehnte später hat Lucy es geschafft, aus dieser Eigenschaft Kapital zu schlagen – sie ist eine gefeierte Bestsellerautorin und lebt mit ihrem Mann Dan in Bristol im Süden Englands. Doch als der sie mit dem Kauf eines alten, imposanten Hauses überrascht, beginnt für Lucy ein Albtraum. Das Haus steht ausgerechnet auf der anderen Seite des Waldes, in dem damals ihr Bruder verschwand. Lucy kann sich den Erinnerungen, die geweckt werden, nicht entziehen. Dann verschwindet Dan spurlos, Lucy ist die Hauptverdächtige, und sie muss sich fragen, zu was sie wirklich fähig ist – und was damals im Wald geschah.

(c) by blanvalet

Um dieses Buch gibt es kein Drumherumkommen – auch nicht, wenn man das Genre eigentlich gar nicht liest. Ich kann gar nicht mehr aufzählen, wie oft und auf wie vielen Plattformen mir „Die Vertraute“ vorgeschlagen und empfohlen wurde – und natürlich wuchs mit jedem einzelnen Post meine Neugier weiter an. Also hab ich es gewagt und mal vorsichtig bei blanvalet angeklopft, und siehe da: ich hab binnen wenigen Tagen die Zusage erhalten. Und kaum war das Buch hier, musste ich es einfach lesen. Gemeinsam mit Susi [@magische_momente_] und Line [@lines_books] hab ich mich in die Seiten gestürzt und den wohl tollsten Austausch seit langer Zeit bei einem Buddyread gehabt. Danke euch, Mädels. Ihr seid großartig! Aber war es die Geschichte denn auch? Lohnte sich die Neugier, die Vorfreude und die Hoffnung auf einen Pageturner? Das und noch vieles mehr verrate ich euch jetzt. Falls ihr also neugierig seid, dann bleibt jetzt gerne dran. Viel Spaß bei der Rezension.

In diesem Roman begleiten wir unsere Protagonistin Lucie, die als Bestsellerautorin ihre Brötchen verdient und darin 100% aufgeht. Schon die Kennenlern-Phase mit ihr gestaltete sich als äußerst interessant, denn Lucie ist alles, nur nicht gewöhnlich. Von Anfang an verspürt man eine gewisse Distanz zu ihr, und die ließ sich auch im Laufe der Handlung nicht so richtig überbrücken. Im Grunde erfährt man über sie kaum etwas – wir wissen also überhaupt nicht recht, mit wem wir es zu tun haben und von „mögen“ kann in dem Fall auch keine Rede sein. Trotzdem war sie unsagbar vielschichtig und facettenreich ausgearbeitet, psychologisch enorm greifbar eingefangen und mit ihren Launen, Gedankengängen und Einstellungen schlicht besonders. Bisher ist mir selten jemand begegnet, den ich so wenig nachvollziehen konnte, mit dem ich gleichzeitig aber so intensiv mitfieberte und mitfühlte. Einerseits ist Lucie fast schwach, nachgiebig und mit wenig Rückgrat gesegnet, doch andererseits ist sie eine so präsente Persönlichkeit, dass sie jeden Raum mit ihrer Anwesenheit ausfüllen konnte. Ihre gesamte Ausstrahlung lud nicht im geringsten dazu ein, sie ins Herz zu schließen, sondern vielmehr dazu, sie durchschauen zu wollen. Was verbirgt sie? Ist sie Opfer oder Täter? Ist sie das Lamm, oder der Wolf? Was geht in ihr vor? Welche Rolle spielt sie wirklich in diesem Stück? Es war extrem schwierig, sie als Menschen einzuschätzen und sie in eine Schublade zu stecken – dafür war es wiederum umso leichter, sie gern zu verfolgen, weil sie eben ein durch und durch interessanter Charakter war, der dem Buch eine ganze Menge Spannungsmomente einbrachte.
Man muss Figuren nicht zwingend lieb gewinnen, um mit ihnen eine Geschichte zu durchleben, und Lucie zeigte das in so vielen verschiedenen Bereichen. So oft will man sie einfach nur schütteln und ihr zurufen, sie solle sich mal zusammenreißen. So oft will man die Wahrheit aus hier herauskitzeln, aber nein. Sie ist und bleibt ein völlig undurchsichtiger Charakter, der perfekt in diesen Roman passt und ihm, in Sachen Unvorhersehbarkeit den letzten Schliff verleiht.
Wir dürfen sie eben auch nicht nur in der Gegenwart begleiten, sondern lernen sie auch als 9-jähriges, kleines Mädchen kennen, was ihr zusätzlichen Tiefgang und Lebendigkeit verlieh – denn schon damals war sie anders; und dieses kleine Mädchen mit der Frau der Jetztzeit in Verbindung zu bringen, fällt einem als Leser ausserordentlich leicht. Allein diese Entwicklung, von damals zu heute ist der Autorin wunderbar geglückt und beweist nochmal, dass ich auch mit Figuren mitfiebern kann, die mich auf der Sympathie-Ebene vielleicht nicht erreichen können.
Ganz ähnlich verhielt es sich auch mit den Nebenfiguren. Keiner – wirklich keiner – erreichte mich auf emotionaler Ebene, aber sie alle; ob nun Officer, Nachbar, Freund oder Feind, waren ein Segen für die Handlung. Jeder brachte neuen Schwung in die Sache; jeder lieferte in anderen Gebieten ab. Und jeder war auf seine eigene Art und Weise nachvollziehbar. Es gab keinen, dem ich bedingungslos vertraute, denn allen begegnete ich mit so viel Vorsicht wie möglich. Gilly Macmillan hat in Sachen Charaktergestaltung 100% abgeliefert und mich wirklich positiv überrascht. Weil alles so ausgeklügelt, aufeinander abgestimmt und glaubhaft war.

Der Schreibstil, mit dem uns dieses Buch erzählt wird, kann sich absolut sehen lassen. Ich kam wahnsinnig schnell voran, flog nur so durch die Geschichte und konnte mir dennoch jede Szene bildhaft vor Augen führen. Mit ein Grund dafür dürften auch die sehr kurzen, knackigen Kapitel gewesen sein, die oft nicht mehr als 2-3 Seiten umfassten und das Geschehen dadurch schnelllebig und rasant wirken ließen. Und auch die Gliederung sprach für sich: wir lesen, wie schon gesagt, eben nicht nur von den Vorkommnissen der Gegenwart, sondern erhalten auch immer wieder kurze Einblicke in die Vergangenheit, was nicht nur für Spannung, sondern eben auch für Abwechslung sorgte.
Teilweise geriet ich, aufgrund mancher Satzbauten etwas ins Stolpern, doch daran störte ich mich verhältnismäßig wenig. Stattdessen konzentrierte ich mich viel mehr auf die dichte, düstere Atmosphäre, die einen, ohne es zu merken, in ihren Klammergriff reisst. Es ist düster, dunkel und fast unheimlich und verspürt damit eben nicht nur beklemmende, sondern auch fast gruselige Stimmung.

Die Idee hinter diesem Buch ist unbeschreiblich vielversprechend. Schon der Klappentext verrät, dass Lügen eine tragende Rolle spielen werden und dass unsere Protagonistin von ihrer Vergangenheit eingeholt werden könnte. Aber was trug sich damals – und auch heute – wirklich zu? Es gab für mich kaum was Spannenderes, als genau das herauszufinden. Aber fangen wir mal vorne an:
Der Einstieg in die Geschichte ist bewusst einfach gehalten, sodass wir als Leser zunächst mal die Figuren, ihre Verbindungen und Beziehungen und die allgemeinen Begebenheiten kennenlernen. Schon früh stellte sich eben heraus, dass Lucie nicht der typische Sympathieträger sein wird, aber das war völlig okay für mich. Auch Dan, Lucie’s Ehemann, der später verschwinden wird, ist in Sachen Menschlichkeit eher schwere Kost und besticht mehr dadurch, dass er einen sprachlos macht, als durch Liebenswürdigkeit. Aber auch das störte mich nicht im geringsten; im Gegenteil! Es steigerte meine Neugier nur umso mehr. Die düstere Atmosphäre und bedrückende Stimmung setzen schon frühzeitig ein und nahmen mich so, ohne großes Aufsehen gefangen. Es wurde, spätestens nach dem ersten Drittel mit jedem Satz, den man liest, undurchsichtiger und das Miträtseln machte zunehmend mehr Spaß. Immer wieder kamen neuen Fakten ans Licht, die es in Zusammenhang zu bringen galt. Ich stellte die wildesten Theorien auf; teilweise so absurd, dass ich selbst den Kopf darüber schütteln musste; war komplett gefesselt und dachte auch in den lesefreien Stunden darüber nach, wie alles miteinander zusammenhängen sollte. Dass ich mich dabei mehr als einmal auf dem Holzweg befand, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Diese Mischung aus Damals und Heute, aus dieser Tat damals und dem Geschehen heute, brachte so viel Spannung mit sich und Stoff zum Mitfiebern, dass dieser Roman zu einem wahren Pageturner wurde. Was ist wirklich in Lucie’s Kindheit geschehen, und wieso wird nun ein weiterer, ihr nahestehender Mensch vermisst? Gilly Macmillan hat es geschafft, dass man irgendwann selbst nicht mehr zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheiden konnte und oft einfach auch an sich selbst zweifelte. Ist das wirklich so geschehen? Oder spielt uns Lucie’s Fantasie wieder mal einen Streich? Das Kopfkino, das während dieser Zeilen entstand, war großartig und stand in perfekten Kontrast zu den Ermittlungen, denen einerseits die Officers, andererseits ich selbst, nachgingen.
Dann ging es, so langsam aber sicher, dem Ende entgegen. Die Auflösung rückte bereits in greifbare Nähe und immer mehr kuriose Informationen wurden gestreut. Die eigenen Ermittlungen im Kopf stagnierten, weil nichts mehr zueinanderpassen wollte und die Undurchsichtigkeit erreichte einen neuen Höchststand. Was war das für ein irrer Spannungsbogen, den die Autorin uns da präsentierte? Wo wollte diese Geschichte – oder besser gesagt, diese zwei Geschichten, bestehend aus Gegenwart und Vergangenheit eigentlich hin? Das letzte Drittel übte eine derartige Sogwirkung aus, dass man das Buch schlicht nicht mehr weglegen konnte. Doch mit den vielen neuen Fakten schlichen sich auch erste Zweifel ein. Schon im vorherigen Verlauf fielen gewisse Logikfehler auf, die sich jedoch durch dieses Unwissen, ob wahr oder surreal erklären ließen bzw. die ich einfach darauf schob. Doch dann – als die Auflösung dann einsetzte, war ich schlicht schockiert.
Ich würde es nie so dramatisch ausdrücken, weil es nicht meine Art ist und es nicht wirklich konstruktiv ist, aber: das Ende war Müll. Schlicht und ergreifend Müll. Wie? Wie kann man eine so geniale Storyline so dermaßen gegen die Wand fahren? Nichts, aber auch gar nichts hat auf diese Aufschlüsselung hingedeutet, sodass alle Überlegungen, die man sich über 380 Seiten gemacht hat, sinnfrei wurden. Gilly Macmillan hat all das psychologische Potential mit diesem Ende zunichte gemacht, indem sie nach dem abgedroschendsten Klischee der Welt greift und das Buch plötzlich wie ein 0-8-15 Groschroman dastehen lässt. Und diese ganzen Informationen waren nicht etwa dafür da, den Leser voranzubringen, sondern um Verwirrung zu stiften. Nichts davon war tragend für diese Auflösung, und nichts davon wurde erklärt. Es blieb offen, wie so vieles, anderes auch und stellte damit die wohl größte Enttäuschung in meiner Karriere als Leser dar. Ein Unding – ehrlich. Alles was bis zu diesem Schlusspart geschehen war, war eine Meisterleistung, aber auch sinnlos in Anbetracht dieser absolut unbefriedigenden Auflösung.

„Die Vertraute“ von Gilly Macmillan brachte alles mit, was es für einen spannungsgeladenen, atmosphärischen und packenden Roman brauchte. Absolut ausgeklügelte Figuren, die zwar nicht durch Sympathie, dafür durch psychologische Feinheiten und eine enorm gelungene Ausarbeitung überzeugen; einen stimmungsvollen Schreibstil und eine Idee, die ihresgleichen sucht. Zwar fallen immer wieder Logikfehler ins Auge, doch lassen die sich leicht urch die Verwirrung, die gestiftet wird, ignorieren. Was sich aber nicht ignorieren lässt ist, wie der hochgradig brisante Ablauf der Handlung, der auf psychologischer, wie auch fesselnder Ebene 1000% begeistert, von einem so nichtssagenden Ende ruiniert wird. Zahlreiche offene Fragen wirken wie ein Schlag ins Gesicht des Lesers und verkörpert eine derartige Enttäuschung, dass ich, trotz des tollen Vorlaufs ganze zwei Sterne von den ursprünglichen 4,5 Sternen abziehen muss.

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Gilly Macmillan wuchs in Swindon, Wiltshire auf und lebte in ihrer Jugend einige Jahre im Norden Kaliforniens. Sie arbeitete beim Burlington Magazine, für die Hayward Gallery und als Dozentin für Fotografie. Heute widmet sie sich ganz dem Schreiben. Gilly Macmillans Romane erfreuen sich besonders in Großbritannien großer Beliebtheit und sind allesamt Bestseller. Sie lebt mit ihrer Familie in Bristol, England.

(c) by blanvalet

An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Rezension meiner ganz persönlichen Meinung entspricht und bei jedem Leser anders ausfallen kann. Außerdem möchte ich mich gerne beim blanvalet Verlag bedanken: dafür alle Bilder und Klappentexte sowie Zitate benutzen zu dürfen. Und natürlich dafür, das Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt bekommen zu haben.